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Mrz 28

„Mit Rollator wird man zur Zielscheibe für Kriminelle“

Passiert immer seltener, die Folgen sind aber oft dramatisch: Ein Mann reißt einer älteren Dame mit Rollator im Vorbeilaufen die Handtasche von der Schulter. Foto: imago

 

Oberhausen. Fünfmal in kurzer Zeit haben Betrüger, Diebe und Einbrecher Helga F. aus Oberhausen attackiert. Das hat ihr Lebensgefühl verändert.

„Die Vorfälle häufen sich, seit ich den Rollator habe“, sagt Helga F.. „Es gibt da eine Verbindung. Ja, mit dem Rollator ist man Zielscheibe.“

Dreimal haben Trickbetrüger die 86-Jährige aus Oberhausen angesprochen, ein Mädchen klaute ihr das Portemonnaie im Supermarkt, und Einbrecher versuchten sich an ihrer Wohnungstür. Alles innerhalb weniger Wochen im Frühjahr 2016. „Ich war ein Objekt, das die beobachtet haben.“ Helga F. fühlt sich umso mehr belagert, je schwächer sie wirkt. Dabei mäht sie noch den Rasen am Haus, in dem sie allein mit ihrem Sohn wohnt, ist bis vor kurzem Auto gefahren, hat sich von ihrem Sturz mit Knochenbruch erstaunlich schnell erholt.

Mit Rollator ist man froh um jeden Schritt, den man spart

Zur Apotheke, zum Lottoladen, zum Netto, das schafft Helga F. noch, aber sie geht nicht mehr die einsamen Straßen, nicht mehr den kürzesten Weg. „Dabei ist man mit dem Rollator ja froh um jeden Schritt, den man spart. Und am liebsten gehe ich mittags, wenn die Berufsschüler aus haben. Ich gucke mich auch öfter um, wenn ich Absätze hinter mir höre.“

Ihr Lebensgefühl verändert sich eines Frühlingstages vor der Gefriertruhe im Aldi-Markt. „Ich habe gerade etwas da rausgefischt, drehe mich um. Da läuft ein Mädchen ganz flott weg, schwarz angezogen. Ich hatte mein Portemonnaie im Rollatorkorb gelassen. Mir ist erst an der Kasse aufgefallen, dass es weg war. Ich habe der Kassiererin gesagt: Das muss jemand geklaut haben! Aber sie meinte nur: Lassen Sie mal ihre Sachen stehen und holen sie Geld von zuhause.“

„Zwei Tage später komme ich vom Einkauf zurück, meine neue Gartenzange hat aus dem Beutel geragt. Da überholt mich ein Fahrrad, bremst vor mir, und ein junger Mann legt mir ein Zwei-Euro-Stück auf den Rollator. ,Du mal wechseln?’ Ich hatte die Angst in der Kehle sitzen, und mit der Hand greife ich die Gartenzange. ,Kann ich nicht.’ Und flink war er weg.“

„Du was verkaufen?“

Helga F. erzählt ihrer Tochter erst Tage später von dem Diebstahl und dem Betrugsversuch. Die Polizei schickt die Tochter zu Aldi, um nach Videos zu fragen. Aber die, so hört Gudrun M., werden nach wenigen Tagen gelöscht.

Wenige Wochen später fegt Helga F. die Straße. Ein Südländer mittleren Alters nähert sich: „Wie heißt du?“ – „Hör mal, was soll das?“, antwortet Helga F., sie ringt um Fassung. „Wie alt du bist?“ – „Das werd ich dir grad sagen.“ Schon hat sie sich gefangen. – „Du was verkaufen?“ – „Jetzt nimm aber die Beine in Hand.“

Kurz darauf, der Heimweg vom Einkauf, Auftritt gepflegter Mann in schwarzem Anzug: „Hallo, können Sie bitte wechseln?“ Auch er legt ihr einfach ein Zwei-Euro-Stück auf die Ablage des Rollators. „Hab ich schon mal gehabt“, sagt Helga F.. „Da, gehen Sie zu Aldi.“ Abgang Trickbetrüger, aber nicht Richtung Aldi.

Den Einbruchversuch bemerkt Helga F., als sie ihrer Tochter hinterherwinkt. „Ich habe mich am Türrahmen festgehalten. Da waren Brösel an meinen Fingern, Metallspäne.“ Die Polizei konnte ihr nur raten, aufzurüsten. Der Schwiegersohn hat also an sämtlichen Fenstern abschließbare Griffe und Scharniersicherungen montiert. Materialkosten: 899,70 Euro. Jedes Mal, wenn Helga F. nun ein Fenster auf Kipp stellen will, muss sie den Schlüssel aus seinem Versteck fischen, muss ihn in den Griff friemeln und an der anderen Seite des Fensters die Sicherung zur Seite drücken. Noch kann sie das.

Mit einem Hund müsste man ja abends auf die Straße

„Sie haben ja dann in fünf, sechs Häusern hier im Viertel eingebrochen.“ Frau K., drei Türen weiter, schreibe sich nun die Nummernschilder auf, wenn hier jemand Fremdes parkt. „Auch in meinem Kirchenkreis sind alle ein bisschen unsicher“, sagt Helga F.. „Gehst du auch da runter?, fragt man. Ja, dann gehe ich mit dir. Einer verzichtet auf einen Hund, dann müsste er ja abends raus. Eigentlich geht von den alten Leuten hier keiner mehr abends raus. Man ist einfach nicht mehr standfest.“ Sie überlegt. „Wenn ich mich an einer Seite festhalte, kann ich mit der anderen schon noch boxen … Aber wo habe ich was zum Festhalten? Und der Rollator rollt weiter.“

Quelle

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