
Endgültig geschlossen oder zugenagelt: Fast alle alten Kneipen in Bruckhausen sind dicht, zahlreiche Wohnungen stehen leer. Ulf Lüdeke / FOCUS Online
Umweltverschmutzung, steigende Arbeitslosigkeit, hoher Ausländeranteil: Duisburg-Bruckhausen galt lange Zeit als klassisches Problemviertel im Ruhrpott. Vor fünf Jahren lief bereits ein Projekt, das mit diesem Image aufräumen sollte. Was ist daraus geworden?
„Schimanski, der hier einige seiner ‚Tatorte‘ gedreht hat, würde einige Orte hier nicht wiedererkennen“, sagt Brigitte K., die auf einer Parkbank direkt vor dem Stahlwerk Thyssenkrupp sitzt. „Zum einen, weil Bruckhausen inzwischen grüner geworden ist und der Dreck aus den Stahlwerken weniger. Zum anderen, weil es hier heute eine Kriminalität gibt, die wir hier noch nie hatten.“
Im Gegensatz zu vielen anderen früheren Bergbaustädten war es Duisburg zwar schon früh gelungen, dem Zentrum neues Leben einzuhauchen. Trotz eines drastischen Rückgangs der Bevölkerung von einstmals 620.000 auf rund 490.000 hatte die Stadt die City geschickt saniert. Auch dem Hafen, der als größter Binnenhafen der Welt gilt, wurde neues Leben eingehaucht.
Doch in wenigen anderen Zechensiedlungen waren die Auswirkungen des Niedergangs im deutschen Kohlebergbau deutlicher zu sehen als in Duisburg-Bruckhausen. Der Ortsteil im Nordwesten glich 2012 einer Geisterstadt, als FOCUS Online Bruckhausen kurz vor der letzten Landtagswahl besuchte. Stadtrat und eine Entwicklungsgesellschaft hatten damals einen Plan auf den Weg gebracht, der das ändern sollte.
Dort, wo damals noch 120 zu einem beträchtlichen Teil leerstehende Häuser standen, sollte ein „Grüngürtel“ entstehen. Ein „Puffer“ zwischen Fabrik und Wohnviertel. Ein Park, der den Wegzug der Menschen aus Bruckhausen bremsen und den Stadtteil wieder schöner machen sollte. Doch was hat der mehrere hundert Meter lange „Grüngürtel“, der mehr als 70 Millionen Euro kostete und vor einem Jahr eingeweiht wurde, in Bruckhausen geändert?
„Was nützt einem das Grünzeug, wenn man es nicht genießen kann?“
„Na klar is dat heut schöner als früher“, sagt Brigitte K. Die Parkbank, auf der sie mit ihrer Schwester sitzt, steht mit dem Rücken zum Erdwall des Grüngürtels. „Doch was nützt das ganze Grünzeug, wenn man es nicht mal richtig genießen kann“, schimpft die 57-Jährige. Denn für die rund 1000 Bruckhausener, die wegen des Grüngürtels umgesiedelt werden mussten, seien viele Ausländer gekommen, die inzwischen „zu einem großen Problem geworden sind“, sagt die alleinerziehende Mutter von zwei Kindern. „Und dieses Problem hat die Politik aus den Augen verloren“, sagt die Hartz-IV-Empfängerin. Sie arbeitet nebenbei als Putzfrau, „um über die Runden zu kommen“.
Brigitte K. schiebt sofort hinterher, dass sie „absolut keine Rassistin“ sei, ganz im Gegenteil. „Ich bin hier mit zahllosen Türken und Polen aufgewachsen, die gehören für mich zur Familie, wir setzen uns an einen Tisch.“ Selbst die Flüchtlinge verhielten sich korrekt, wollten arbeiten, passten sich an Sitten und Gebräuche an.
Doch für Rumänen und Bulgaren hingegen, die seit zwei Jahren verstärkt in die Stadt kämen, findet sie einfach keine guten Worte. „Seit die hier sind, ist die Zahl der Einbrüche sprunghaft gestiegen – auch bei mir im Haus. Sie schlagen Kinder ohne Grund, klauen ihnen die Handys, schmeißen überall Abfall und Müll einfach auf die Straße.“ Ihre Schwester, die einen Husky an der Leine hält, nickt mit runzeliger Stirn.
Zwar zeige die Polizei inzwischen deutlich mehr Präsenz – „doch zu wenig“, um die Probleme in den Griff zu bekommen, sagt die 57-Jährige. Ob sie zur Wahl ginge am Sonntag? „Natürlich. Ich habe immer gewählt. Aber weder CDU noch SPD bekommen meine Stimme, sondern irgendeine kleine Partei“, schimpft die Putzfrau. „Als Merkel zuletzt in Marxloh war, wurden die Straßen dort eine Woche für sie geputzt. Die muss hier mal unangekündigt herkommen, um zu sehen, was wirklich hier los ist.“
„Lache mich tot über Investitionen in Bruckhausen“
Dass eine ehemalige Zechensiedlung an einem der größten Stahlwerke des Ruhrpotts nicht von heute auf morgen wieder so glänzen kann, wie es Duisburgs Zentrum inzwischen tut oder der Hafen, der als größter Binnenhafen der Welt gilt, weiß auch Benali Meclisi*. Der Türke lebt seit 1969 in Bruckhausen, hat bis 1993 bei Thyssen gearbeitet und ist dann „ins kalte Wasser gesprungen, weil ich mich selbstständig gemacht habe“.
Meclisi kennt die Geschichte des Grüngürtels bestens, er war unter anderem Mitglied einer Arbeitsgruppe, die mit Experten ein eigenes Gutachten zu dem Projekt erarbeiten ließ. „Natürlich ist es gut, dass wir den Park nun haben. Aber es ist ein halbherziges Projekt. Wenn ich mir vorstelle, wie viele Zigmillionen Euro mehr im Zentrum investiert worden sind, dann lache ich mich tot“, sagt Meclisi mit sarkastischem Unterton.
„Wenn Stadt und Entwicklungsgesellschaft damals wirklich ein seriöses Projekt gewollt hätten, das den Wegzug der Menschen bremst, dann hätten sie auf uns gehört“, moniert Meclisi.
Der eloquente Geschäftsmann, der sich lange Zeit auch intensiv für die Verständigung zwischen Türken und Deutschen engagierte, hatte sogar gegen den Bebauungsplan der Stadt für den Grüngürtel geklagt. Inzwischen mischt sich Meclisi nicht mehr in die Lokalpolitik ein. „Ich habe genug davon“.
Meclisi kritisiert, dass der Rat der Stadt die Schuldigen für die Fehlentwicklungen in Bruckhausen an der falschen Stelle suche. Fehler wie mangelnde Integration und Ghettoisierung zum Beispiel. „Erst waren es die Türken, nun sind es Rumänen und Bulgaren. Dabei ist es die Stadt selbst, die nun mit den Neuankömmlingen dieselben Fehler wiederholt, die sie vor längerem schon mit uns machte. Indem sie nicht auf das Stadtviertel verteilt werden, sondern alle zusammen ganze Häuser bewohnen, was die Ghettoisierung fördert und Integration erschwert“, sagt Meclisi. Und fügt hinzu: „Es ist ohnehin nicht leicht, sich hier zu integrieren. Denn viele der wenigen Deutschen, die hier noch leben, sind Sozialfälle.“
„Politiker, die sich wie Gutsherren verhalten“
Die Einwohnerzahl von Duisburg ist mittlerweile zwar wieder auf über 500.000 angestiegen. Doch der positive Effekt für Bruckhausen bleibe aus, klagen seine Bewohner. Die „wahren Schuldigen für die anhaltende Misere“ hingegen – „Politiker und Planer“ – wohnten nicht in Bruckhausen, sondern eher „in schönen Villen am anderen Rheinufer“, sagt Meclisi. Sie verhielten sich der armen Bevölkerung gegenüber wie „Gutsherren“, sagt der Geschäftsmann. Im Rathaus herrsche eine „unerträgliche Vetternwirtschaft“, so Meclisi. Projekte würden vor allem dafür erdacht, um die Interessen von Freunden zu bedienen, statt die Nöte der Bewohner zu lindern. „Politik und Vetternwirtschaft, die ich im Rathaus und den Entwicklungsgesellschaften kennengelernt habe, erinnern mich vor allem an eins: an die Mafia.“
Auch die eigene Familie bleibt nicht verschont
Dass er seinen richtigen Namen nicht mehr preisgeben will, habe er seinen Kindern versprochen. Zu oft, so Meclisi, habe er sich in der Vergangenheit für seine schonungslose Offenheit schon „zu viel Ärger“ mit ihnen eingehandelt.
Wie wirkungslos die Duisburger Stadtentwicklung für Bruckhausen bleibe, zeige sich leider auch in seiner eigenen Familie. „Zwei meiner Kinder sind, obgleich sie hier geboren wurden, in die Türkei gezogen.“
*Name von der Redaktion geändert