Während in Deutschland darüber gestritten wird, wie der Staat Einwanderung und Asyl besser regeln und auch begrenzen kann, werden die Weichen für eine neue, grenzenlose Migrationspolitik diskret im Rahmen internationaler Organisationen gestellt. Die steht unter dem Motte „Migration ist immer für alle gut“, schreibt NWZ-Nachrichtenchef Alexander Will.
Oldenburg. Asyl und Einwanderung – es gibt in Deutschland kaum Probleme, die leidenschaftlicher diskutiert werden. Mit dem Skandal im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hat die Kontroverse an Schärfe gewonnen. Kritiker sehen massives Staatsversagen und fordern Korrekturen, die im Kern mehr Härte und Konsequenz des deutschen Staates bedeuten.
Doch diese Vorstellungen laufen einem Trend zuwider, der sich – von der Öffentlichkeit unbemerkt – seit Beginn des Jahrtausends entwickelt hat: Einwanderung, geregelt im internationalen Rahmen, der mit (freiwilliger) Einschränkung der Souveränität der Nationalstaaten verbunden ist. Noch in diesem Jahr sollen im Rahmen der UN ein entsprechendes Abkommen unterzeichnet werden.
Das brisante Papier trägt den Titel „Globale Vertrag über sichere, geordnete und regelgerechte Migration“. Der Vertrag atmet zwar den Geist eines Kompromisspapiers. So wird er etwa als nicht rechtlich bindend bezeichnet, und auch die Souveränitätsrechte der Staaten werden erwähnt. Im Detail jedoch enthält er starken Tobak für all jene, die Migration und Einwanderung nicht für eine ausschließliche Segnung halten. Genau das ist jedoch Grundtenor: „Migration … ist eine Quelle der Prosperität, Innovation und nachhaltiger Entwicklung in unserer globalisierten Welt.“
Der Entwurf formuliert 23 Ziele, zu denen der Kampf gegen den Menschenhandel ebenso zählt wie die Schaffung neuer Möglichkeiten zur legalen Migration und die Öffentlichkeitsarbeit für ein positives Image der Einwanderung in den Aufnahmeländern. Da geht es etwa darum, „Verfügbarkeit von Wegen für sichere, geordnete und legale Migration auszuweiten und breiter zu fächern“. Im Klartext: Illegale in legale Einwanderung zu verwandeln. Als Instrumente werden unter anderem die organisierte Umsiedlung von Migranten sowie „Visa-Optionen“ genannt. Zudem soll die „Familienzusammenführung für Migranten aller Qualifikationen durch die Überarbeitung von Regeln ermöglicht werden“.
Für Deutschland ist dieser Punkt brisant, tobt doch ein Streit um die Regelung des Familiennachzuges. Geht es nach dem UN-Vertrag, wäre der entschieden: zugunsten unbegrenzten Nachzugs. Weitere Punkte des Vertrages betreffen den vollen Zugang aller Einwanderer zum Rechtssystem des Aufnahmelandes sowie die Verpflichtung, neue Möglichkeiten zu schaffen, illegalen Aufenthalt in legalen zu verwandeln. Zudem will man sich auf einen weitgehenden Zugang von Einwanderern zum Sozialsystem des Aufnahmelandes einigen.
Das Abkommen hat eine lange politische Vorgeschichte, die mindestens bis zum Jahr 2000 zurückreicht. Verglichen mit dem jetzt verfügbaren Entwurf waren die ersten Vorstellungen radikaler. Das Grundprinzip „Migration = ausnahmslos gut“, zieht sich allerdings ohne Bruch durch die vergangenen 18 Jahre.
Im Jahr 2000 veröffentlichten die UN ein Papier zur „Replacement Migration“. Darin geht es um die alternden Gesellschaften der Industrienationen, die dringend Einwanderung benötigten, um das Schrumpfen ihrer Bevölkerung aufzuhalten, da sonst die Sozialsysteme kollabierten. Der englische Titel war mit äußerstem Ungeschick gewählt: „Replacement“ muss in diesem Zusammenhang als „Bestandserhaltung“ verstanden werden, bedeutet aber auch „Austausch“. Hier liegt die Wurzel der Verschwörungstheorie vom „Großen Austausch“, einem angeblichen Plan, die Bevölkerung des Nordens durch Einwanderer aus dem Süden zu ersetzen.
Die „New Yorker Erklärung für Flüchtlinge und Migranten“ der UN-Generalversammlung formulierte 2016 das Prinzip „Vielfalt bereichert jede Gesellschaft“. Zudem sollen die Staaten „die Prüfung von Regelungen erwägen, die grenzüberschreitende Bewegungen unter Strafe stellen“. Das bedeutet nichts weniger, als die verklausulierte Forderungen nach gänzlich offenen Grenzen. Der Ruf nach ausgedehnten Umsiedlungsprogrammen schließt sich hier an.
Die klarsten Aussagen zur Stoßrichtung einer internationalisierten Migrationspolitik finden sich jedoch im Bericht des UN-Generalsekretärs, António Guterres, aus dem Dezember vergangenen Jahres. Es gehe darum, „den Nutzen von Migration zu maximieren, anstatt sich obsessiv mit der Minimierung von Risiken zu befassen“, schreibt Guterres. Es folgt ein offensichtlicher Widerspruch: Die Staaten hätten zwar das Recht, „darüber zu entscheiden, wer ihr Hoheitsgebiet betreten und darin bleiben darf“. Eine „kontraproduktive Politik, die Migration einschränken will“ untergrabe jedoch die „Fähigkeit der Staaten diesen vorrangigen Anliegen gerecht zu werden“. Guterres scheint hier die Rechnung aufzumachen, mehr Einwanderung bedeute auch mehr Kontrolle über diese. Klar ist für ihn, dass illegale in legale Einwanderung verwandelt werden muss: „Vieles spricht eindeutig für eine Förderung der regulären Migration. … Die freiwillige und sogar die erzwungene Rückkehr sind zwar mögliche Optionen, sie sind aber in vielen Fällen weder wünschenswert noch durchführbar.“ Auch die deutsche Debatte über konsequentere Abschiebungen hätte sich damit erledigt.
Diese Sicht auf Migration und die daraus entwickelten Schlussfolgerungen, die schließlich in einen Vertragsentwurf gegossen wurden, sind aus einer Reihe von Gründen höchst problematisch:
• Zum einen soll zwar vordergründig die Souveränität der Staaten erhalten bleiben, in Wirklichkeit aber würde eben diese unterhöhlt. Staaten würde es erschwert zu entscheiden, welche Art Einwanderung sie wünschen.
• Die einseitige Gewichtung der Vorteile von Migration lässt die Schattenseiten aus dem Blick.
• Die durch Einwanderung verursachten Veränderungen von Gesellschaften sowie politischer Mehrheitsverhältnisse, kulturell und religiös motivierte Konflikte, die begrenzte Leistungsfähig der Sozialsysteme sowie die mögliche Verschärfung sozialer Konflikte in Aufnahmeländern werden nicht angesprochen.
• Es wird davon ausgegangen, dass die Bürger der Aufnahmeländer die Kosten klaglos tragen. Das Problem von „Pull-Faktoren“, also die Anziehungskraft hoch entwickelter Sozialsysteme, wird vernachlässigt.
• Migration wird rein quantitativ betrachtet. Es findet keine qualitative Betrachtung statt. Dass viele Einwanderer unterqualifiziert sind und genau deswegen in den Industrie- und Wissensgesellschaften nicht Fuß fassen können, wird nicht problematisiert.
• Die Staaten werden in den verschiedenen Dokumenten sowie im Vertragsentwurf dazu aufgerufen, Kritik an Einwanderung zu unterbinden. Im Vertragsentwurf werden Kritiker durchgehend mit Rassisten gleich gesetzt. Hier ist der Konflikt mit der Meinungsfreiheit sowie demokratischer Willensbildung programmiert.
Während die EU und auch Deutschland dazu tendieren, derartige internationale Abkommen zur Grundlage politischen Handelns zu machen, haben die Amerikaner bereits ihre Entscheidung getroffen: Sie werden den Vertrag über Migration nicht zu unterzeichnen. In Deutschland wird das Abkommen dagegen voraussichtlich zu einer mächtigen politischen Waffe der Befürworter grenzenloser Einwanderung.
Dokumente zur internationalen Migrationspolitik
Darstellung der EU-Einwanderungspolitik (Deutsch): http://bit.ly/EUeinwa
UN-Papier zur „Replacement Migration“ (pdf, Englisch): http://bit.ly/dokrep1
New Yorker Erklärung für Flüchtlinge und Migranten (pdf, Deutsch): http://bit.ly/erkmig1
Bericht des UN-Generalsekretärs (pdf, Deutsch): http://bit.ly/berichtGensek
Kommentar des UN-Generalsekretärs zur globalen Einwanderungspolitik (Deutsch): http://bit.ly/GutKom
Globale Vertrag über sichere, geordnete und regelgerechte Migration, Entwurf vom 28. Mai 2918 (pdf, Englisch: http://bit.ly/compactMig