Das Roma-Lager im Frankfurter Gutleutviertel wurde geräumt. Wie man mit obdachlosen Arbeitsmigranten aus Osteuropa künftig umgehen soll, ist umstritten. Ein Runder Tisch in Frankfurt soll die konträren Positionen zusammenführen.
Das Schiebetor, durch das man auf das ehemalige Fabrikgelände Gutleutstraße 332 kommt, ist verschlossen. Eine eiserne Kette soll dafür sorgen, dass kein Unbefugter mehr darauf gelangt. Mitten auf dem Grundstück ist noch ein schrottreifer, mit Graffiti besprühter weißer Lieferwagen, in unmittelbarer Nähe stehen sich zwei blaue Dixi-Toilettenhäuschen gegenüber. Ansonsten ist das Gelände leer und verlassen.
Nur der Müll liegt noch überall herum. Gesammelt wurde er von Leuten, die bis vor wenigen Wochen noch auf diesem Grundstück wohnten und zum Teil von diesem Müll lebten. Von Pfandflaschen. Von Gerümpel, für das sie auf Flohmärkten Käufer zu finden hofften. Jahrelang lebten auf dem alten Fabrikgelände an der Gutleutstraße Menschen aus Osteuropa, viele davon Roma aus Rumänien oder Bulgarien.
Kein Anspruch auf Leistungen
Sie bauten sich Verschläge im Hohlraum unter einer Laderampe ein, später errichteten sie kleine Hütten aus Sperrholz. In denen lebten sie unbehelligt, der Besitzer des Grundstücks kümmerte sich nicht darum, er saß in Italien im Gefängnis. Die Grundstücksbesetzer lebten in menschenunwürdigen Verhältnissen, ohne Toiletten, ohne Strom und ohne fließendes Wasser. Die Stadt Frankfurt ließ sie gewähren. Da es sich um Privatbesitz handelte, gebe es keine Handlungsmöglichkeit, hieß es.
Bis Ende Februar auf einmal die Bagger anrückten und die Hütten in wenigen Minuten dem Erdboden gleichmachten. Einige hatten gebrannt, Ordnungsdezernent Markus Frank (CDU) sah auf einmal Gefahr im Verzug – und handelte. Ohne jede Absprache mit seinen Dezernatskollegen, von denen einige, zurückhaltend ausgedrückt, nicht glücklich waren.
Seitdem ist das Gelände verlassen. Zwischen 40 und 50 Menschen lebten zeitweise auf der Brache. Wo sind sie jetzt? Die Antwort auf diese Frage ist allenthalben Achselzucken. Nach Angaben des Sozialdezernats nahmen elf Personen die Rückkehrhilfe der Stadt in ihr Heimatland und ein Verzehrgeld von 20 Euro an, sieben sollen auf eigene Faust ausgereist sein. Laut Sozialamt wurden auch ehemalige Bewohner der Brache vereinzelt in der Stadt gesehen. An deren Situation hat sich nichts geändert. Anspruch auf Leistungen haben sie nicht. Das wurde nach der Räumung des Lagers und der vorübergehenden Unterbringung der Menschen in Unterkünften laut Sozialdezernat in 37 Fällen überprüft – in 34 davon gab es einen Ablehnungsbescheid.
Eier aus umliegenden Häusern
Das Lager im Gutleutviertel wurde geräumt. Ungelöst ist das Problem, dass viele Arbeitsmigranten mit geringer Bildung aus Osteuropa nach Frankfurt kommen. Die auf dem Arbeitsmarkt so gut wie keine Chance haben. Die aber irgendwo bleiben müssen.
Insbesondere die Roma erwiesen sich diesbezüglich in der Vergangenheit als wenig zimperlich. Sie richteten sich auf der Gutleutstraße 332 ein – oder unter freiem Himmel. Noch kein Jahr ist es her, dass wochenlang eine Gruppe von bis zu 50 Personen an der Weißfrauenkirche in der Innenstadt lagerte, wohlwollend geduldet von der Diakonie. Nach einigen Wochen flogen zunächst Eier aus den umliegenden Häusern auf die Roma, dann fielen in einem Gespräch zwischen Hauseigentümer, Diakonie, Ordnungs- und Sozialdezernat deutliche Worte, und schließlich wurde geräumt.
Schnell wieder abgebaut
Wo die Matratzen lagen, steht heute ein Bauzaun. Ein Bauzaun steht mittlerweile auch rund um das „Nizza“, den mediterranen Garten am nördlichen Mainufer. Laut Grünflächenamt hatten dort in jüngster Zeit wohnungslose Osteuropäer genächtigt und in der Anlage auch ihre Notdurft verrichtet.
Der Bauzaun ist ein Gegenstand, der darüber, wie in Frankfurt mit dieser Gruppe Obdachloser derzeit umgegangen wird, vieles verrät. Er signalisiert einerseits: Ihr seid hier nicht erwünscht. Gleichzeitig ist der Bauzaun, ein Metallgitter, schnell und unkompliziert in einen Betonsockel gesteckt, ein Provisorium, das schnell wieder abgebaut werden kann.
„Attraktivität senken“
Ausschließen oder einbeziehen, Hand reichen oder abweisen, das ist eine Grundsatzdebatte in der Stadt. Beraten wird sie nicht öffentlich, am Runden Tisch Roma. „Dort versuchen wir, verschiedene Sichtweisen zusammenzubekommen“, sagt Ordnungsdezernent Markus Frank (CDU). Seine Sichtweise fasst er so zusammen: „In unserer Stadt haben wir uns Werte und Regeln gegeben, und unsere Aufgabe ist es, diese durchzusetzen.“ Diese Regeln gälten für alle. Wer sie nicht beachte, müsse die Konsequenzen tragen. Die Erfahrung, unter anderem die unlängst am „Nizza“ gemachte, zeige, dass jene, nach denen der runde Tisch benannt sei, sich oft nicht an die Regeln hielten. „Wo es Regelverstöße gibt, werden sie geahndet, Menschen in Not erhalten Hilfe“, sagt Frank.
Weiteres Entgegenkommen, weitere Angebote und Hilfe hält er für nicht angebracht. Das würde sich lediglich herumsprechen und für weiteren Zulauf sorgen. So werden seine Mitarbeiter weiterhin morgens die Roma am Mainufer wecken und fortschicken, sie „mobilisieren“, wie Frank es nennt. Ungemütlich solle es für die sein. „Ärger minimieren, die Menschen mobilisieren, Attraktivität senken, das klingt hart, ist aber nötig“, meint Frank.
Solange sie nicht stören
Am Runden Tisch sitzt auch Sozialdezernentin Daniela Birkenfeld (ebenfalls CDU). Ihre Position erläuterte sie unter anderem, als sie vor wenigen Wochen bei der Multinationalen Informations- und Anlaufstelle für Bürger der Europäischen Union Bilanz zog. Dieses Büro für EU-Angehörige, die in Not geraten sind, gibt es in Frankfurt seit einem Jahr. Das „Kernproblem“ ist für Birkenfeld die Freizügigkeitsregelung der Europäischen Union.
Die sei gut gemeint. Aber es sei für die gering Qualifizierten schwierig, auf dem anspruchsvollen Frankfurter Arbeitsmarkt fündig zu werden. In dem Gespräch verwies Birkenfeld auf die Rechtslage: EU-Bürger, die nicht oder noch nicht lange genug sozialversicherungspflichtig beschäftigt waren, haben erst nach einem ununterbrochenen Aufenthalt von fünf Jahren in Deutschland Anspruch auf Sozialhilfe.
Und für die Leute, Menschen, deren Schicksal am runden Tisch verhandelt wird, gelte das nun mal in der Regel nicht. „Ich halte mich an das Gesetz“, sagt Birkenfeld, die gleichzeitig dafür plädiert, den in Not geratenen Menschen mit Toleranz zu begegnen und ihnen humanitäre Hilfe zu gewähren. Solange sie die öffentliche Ordnung nicht stören. Darüber hinaus sollten keine weiteren Angebote gemacht werden. So zumindest die offizielle Sprachregelung. „Wir können hier in Frankfurt nicht mit selbstgemachten Sonderregelungen eines der zentralen europäischen Probleme lösen. Daran würden wir uns verheben.“
„Menschen mit großen Herzen“
Das sieht Sylvia Weber (SPD), Dezernentin für Bildung und Integration, anders. Sie hält es für falsch, die Armut aus der Stadt „zu verdrängen“. Ihr Dezernat erarbeitet ein Konzept für den Umgang mit der Situation. Mitarbeiter des Amtes für multikulturelle Angelegenheiten sehen sich zurzeit unter anderem Wohnprojekte in anderen Kommunen an.
Webers Ziel ist es unter anderem, den Osteuropäern Angebote zur Unterbringung und Integration zu machen. Auch Gesundheitsdezernent Stefan Majer (Grüne) hält es für „spannend“, sich Wohnprojekte in anderen Kommunen anzuschauen, und plädiert gleichzeitig dafür, Roma nicht zu diskriminieren, indem man sie anders behandelt als andere Obdachlose.
Wie schwierig es sein muss, diese Positionen zusammenzubringen, lässt das Gespräch mit dem Ordnungsdezernenten erahnen, der süffisant von „Menschen mit großen Herzen“ spricht. Von einem Wohnhaus eigens für Osteuropäer oder Roma hält er nichts. „Das ist nicht mit der Realität vereinbar“, sagt Frank. Und: „Wir müssen alle gleich behandeln.“ Und Birkenfeld hält es für „zutiefst undemokratisch, willkürlich zu entscheiden, wer nun Hilfe bekommt und wer nicht“.
Der Dialog blieb aus
Die Multinationale Informations- und Anlaufstelle für EU-Bürger, bei deren Bilanzgespräch Birkenfeld ihre Position erörterte, ist nicht zuletzt auch eingerichtet worden, um die klassische Sozialarbeit in der Stadt von dieser Klientel zu entlasten und den speziellen Bedürfnissen auch der Menschen aus Osteuropa gerecht zu werden. Die vier Nationalitäten, die in der Statistik des Büros am häufigsten genannt werden, sind Bulgarien, Rumänien, Spanien und Polen. Rund 40 000 Menschen mit den entsprechenden Staatsangehörigkeiten sind in Frankfurt mit Hauptwohnsitz gemeldet, 3000 von ihnen sind arbeitssuchend, 861 haben laut dem Büro angegeben, wohnungslos zu sein.
Viele dieser Menschen, darunter zahlreiche Roma aus Bulgarien oder Rumänien, nahmen in der Vergangenheit unter anderem auch die Angebote der Diakonie wahr und lebten bis zur Räumung des Platzes rund um die Weißfrauenkirche. Als in der Kirche vor wenigen Wochen bei einer Pressekonferenz bekanntgegeben wurde, dass die Winterspeisung für Obdachlose abgeschafft wird, die dort 30 Jahre lang angeboten wurde, konnte man bei genauerem Hinhören als Begründung zwischen den Klagen über die Überforderung auch eine gewisse Ernüchterung über den Umgang mit dieser Klientel heraushören.
Die Speisung, eigentlich ein Angebot, um mit Obdachlosen ins Gespräch zu kommen, wurde als unentgeltliches Angebot von den Osteuropäern gerne genutzt – der Dialog blieb aus. „Die Nationalitäten kommen nicht mehr miteinander ins Gespräch“, berichtete damals Karin Kühn, Arbeitsbereichsleiterin Diakonische Dienste. „Es wird nur noch Rumänisch gesprochen, da kommt die klassische Sozialarbeit an ihre Grenzen“, sagte Michael Frase, Leiter des Diakonischen Werks Frankfurt.
Angebote stärken Zulauf
Die Abgeschlossenheit vieler Roma-Gruppen, die Tatsache, dass sie oft nicht zugänglich sind und nach eigenen Regeln leben: Diese und ähnliche Erfahrungen lassen auch verständnisvolle Beobachter und gute Kenner der Szene skeptisch fragen, ob ein Wohnraumangebot eigens für Roma der richtige Ansatz ist. „Und dann?“, fragt zum Beispiel Christine Heinrichs, Bereichsleiterin im Frankfurter Verein für soziale Heimstätten. Dann habe man ein Haus voller Menschen ohne Arbeit. Solle man denen beim Flaschensammeln zugucken?, so ihre polemische Frage. Wen nimmt man auf? Wen nicht mehr?
Wer in Deutschland selbständig Fuß fassen könne, benötige so ein Haus nicht, wer es benötige, sei weit weg davon, hier Fuß fassen zu können. Auch Heinrichs meint, dass derartige Angebote lediglich den Zulauf verstärken würden und das Problem sich verschärfen würde. „Not und Elend der Menschen gehen uns nahe, aber man muss auch realistisch sein: So ein Haus bringt keinem was, wir sind in der Verantwortung, einen Schritt weiterzudenken“, sagt Heinrichs.