Der Holzstuhl zerbrach in seinem Gesicht. Dann griffen die Täter ein Stuhlbein: Die Beschreibung des Martyriums des Musikers, der den Tätern Sex antrug, füllt zwei Drittel der Anklageschrift.
ie Staatsanwältin lässt den Begriff in einem Nebensatz fallen. Es ist nur ein Wort, aber eins, das das Martyrium schlagartig vor Augen führt, das der Musiker Jim Reeves im Sechsbettzimmer eines Berliner Hostels erlitten hat. „Pfählung“.
Die Geschwister des Ermordeten sitzen zwischen ihren Anwälten, ringen ihre Tränen nieder. „Wie haben Sie Ihre Mandanten auf diesen Prozess vorbereitet?“, wird einer der Anwälte später gefragt. „Auf so einen Prozess kann man niemanden vorbereiten, gerade wenn es so grausam ist“, antwortet er.
Die Anklageschrift, die die Staatsanwältin an diesem Morgen verliest, besteht zu zwei Dritteln aus den Verletzungen, die an der Leiche des 47-Jährigen festgestellt wurden. Darm perforiert. Harnblase, Leber und Milz gerissen. Heftige innere Blutungen. 15-fache Rippenbrüche, die die Lunge anspießten.
Für die Familie muss die Verlesung der Anklage eine Qual sein
Saal 621 des Berliner Landgerichts ist an diesem Tag voll besetzt. Einer der Verteidiger der beiden Angeklagten hat vor der Verhandlung die jüngere Schwester des Opfers angesprochen, um ihr zu sagen, dass seine kleine Tochter sie vergöttere. Shary Reeves, 42, moderiert die WDR-Kindersendung „Wissen macht Ah!“.
Neben ihr sitzen Terry, 50, und Andrew Reeves, 46. Mit seinen Geschwistern hatte Jim Reeves in den 90er-Jahren die Band 4 Reeves gegründet, sie machten ein paar Songs zusammen, bevor der älteste Bruder mit der eigenen Band Sqeezer ein paar Charthits feiern konnte.
Eurodance war damals angesagt, der Musiksender Viva gerade auf Sendung gegangen. Einer der Moderatoren, Mola Adebisi, ist ein Cousin von Jim Reeves, auch sie haben eine Single („Get It Right“) zusammen veröffentlicht.
Adebisi hat sich auf die hinterste Zuschauerbank gedrückt. Wie schwer es der Familie fallen muss, den Ausführungen der Anklage zu folgen, ist in Worten nicht zu ermessen.
Er bot Sex an, sie beschlossen, ihn zu quälen und zu töten
Detailliert beschreibt die Staatsanwältin die letzten Stunden von Jim Reeves, der nach einem Streit mit seiner Freundin ausgezogen war und sich für die Nacht vom 31. Januar auf den 1. Februar 2016 in dem Hostel „HappyGoLucky“ in Berlin-Charlottenburg einquartiert hatte. In Zimmer 25 übernachteten zu diesem Zeitpunkt auch die beiden Angeklagten, ein 23- und ein 30-jähriger Pole, die in Berlin Arbeit auf einer Baustelle gefunden hatten.
Reeves habe, so die Staatsanwältin, den beiden „sexuelle Handlungen angetragen“. Daraufhin hätten sie beschlossen, ihn zu töten und zu quälen. Reeves lag demnach in einem unteren Etagenbett, als einer der Polen sich auf seine Brust kniete, seine Arme festhielt. Sie schlugen ihm mit Fäusten und einem Holzstuhl ins Gesicht. Der Stuhl zerbrach, aber Reeves war noch immer bei Bewusstsein. Sodann griffen die Männer ein abgebrochenes Stuhlbein und stießen es mehrfach in seinen After.
Jim Reeves starb an den schweren inneren Verletzungen. Am nächsten Morgen fand ihn der nächste Gast tot im Etagenbett.
Die beiden Männer, einer groß und mit kurz geschorenem Haar, der andere kleiner, er trägt eine Tätowierung am Hals, bleiben an diesem Tag stumm. Die Verteidiger haben ihnen geraten, sich nicht zu äußern. Fahnder hatten den einen in Polen, den anderen in Spanien gefasst. Beide sind wegen anderer Delikte vorbestraft.
Sollten die Beweise, die in den nächsten Verhandlungstagen erörtert werden sollen, für eine Verurteilung reichen, droht ihnen lebenslange Gefängnisstrafe mit dem Zusatz der „besonderen Schwere der Schuld“, der eine Haftentlassung auf Bewährung nach 15 Jahren, wie sonst bei „lebenslänglich“ möglich, erschwert.