
Jedes Jahr werden Tausende Mädchen gegen ihren Willen verheiratet. Die Folgen sind dramatisch. Necla Kelek kämpft gegen diese Verbrechen und hofft auf ein Zeichen der Politik in NRW.
Bielefeld. Alle 28 Minuten wird weltweit ein Mädchen gegen seinen Willen verheiratet. Auch in Deutschland trifft es jedes Jahr Hunderte, doch häufig wird dieses weit verbreitete Verbrechen als Einzelfall abgetan. Die Soziologin Necla Kelek kämpft mit ihrer Menschenrechtsorganisation „Terre des Femmes“ gegen Zwangsheirat und gefährliche Verharmlosungen. In Bielefeld warnt die Menschenrechtlerin davor, dass die Zwangsheirat in Deutschland Alltag wird. Mit einer Ausstellung zeigt Kelek eindrucksvoll, welche Folgen Zwangsheirat für Mädchen hat.
Eine verschleierte Braut im Käfig, ein Bräutigam mit Knüppel und Blumen in der Hand, ein Mädchen in Ketten gelegt und eine Kinderbraut mit einem Strick um den Hals. Szenen wie diese haben Mädchen im Alter zwischen 8 und 16 Jahren aus der Türkei gezeichnet, um einen Einblick in das Leben von Kinderbräuten zu gewähren. „Durch Zwangsehen sind die Leben der betroffenen Mädchen komplett fremdbestimmt“, sagt Kelek.
Verbreitet sind Zwangsehen laut Kelek trotz Verbots vor allem in patriarchalischen Familien im Osten und Süden der Türkei. „Da aber niemand diese Verbrechen anzeigt und diese auch nicht geahndet werden, lebt diese Tradition nach dem islamischen Familienrecht fort. Erst bestimmen Väter und Brüder über das Leben der Mädchen, später der Ehemann.“ Die Folgen für die Mädchen sind dramatisch: „Die Betroffenen sind oft sehr jung, werden innerhalb der Familie verheiratet und haben häufig keinen Zugang zu Bildung. Mit jeder Zwangsheirat wird ein Leben zerstört.“
„Bricht eine aus, werden Schwestern oft zur Strafe zwangsverheiratet“
Betroffen sind jedes Jahr auch Hunderte Mädchen in Deutschland. „Die Traditionen leben auch außerhalb der Herkunftsländer fort, weil auch in Deutschland trotz Verbots die Verbrechen nicht angezeigt und auch nicht geahndet werden“, moniert Kelek. „Der Zusammenhalt und der Druck in der muslimischen Community sind groß, und in vielen Moscheen werden Männer dazu aufgefordert, ihre Töchter zu verheiraten. Deshalb werden Zwangsehen in Deutschland Alltag.“
Kelek fordert deshalb neben der systematischen strafrechtlichen Verfolgung von Zwangsehen in Deutschland die Schaffung von Öffentlichkeit und Aufklärungskampagnen, vor allem in Moscheeverbänden.
Mädchen, die aus diesen patriarchalischen Strukturen ihrer islamistischen Familien ausbrechen, ziehen den Hass ihrer gesamten Familie auf sich. „Wenn ein Mädchen flieht, bricht sie mit der Familie, und zur Strafe werden häufig die Schwestern zwangsverheiratet. Zum einen, um Schuldgefühle aufzubauen, und zum anderen, um eine weitere Flucht zu verhindern“, erklärt Kelek.
Ein weiteres Problem in Deutschland sind nach Angaben der türkischstämmigen Soziologin Verharmlosungen: „Zwangsehen werden häufig als Einzelschicksale abgetan. Das Verbrechen an sich wird verurteilt, aber nicht die kollektiven Strukturen, die Zwangsehen ermöglichen.“ Problematisch sind Verharmlosungen laut Kelek auch in der Debatte um ein Verbot von Kinderkopftüchern oder das Kinderfasten während des Ramadan. „Doch anstatt muslimischen Mädchen die freie Entfaltung ihrer Persönlichkeit zumindest in der Schule zu ermöglichen, gibt es immer mehr Sonderregeln für Islamisten, die eine vermeintliche Familienehre beschützen.“
Kelek fordert ein Verbot von Kinderkopftüchern bis zur Volljährigkeit
Kelek kritisiert, dass immer mehr Schulen Gebetsräume einrichten, den Ausschluss vom Schwimmunterricht tolerieren oder Gebetspausen während des Unterrichts gestatten. „Damit sich Kinder frei entfalten können, muss Schule ein Platz ohne religiöse Traditionen sein. Schule muss ein Ort sein, in dem Kinder alternative Lebensmodelle kennenlernen. Damit sie die Wahl haben.“
Kelek und „Terre des Femmes“ setzen sich mit einer Petition für das Kopftuchverbot für Mädchen und gegen die Sexualisierung von Kindern ein. „Kein Kind entscheidet sich freiwillig für die Verschleierung, deshalb steht ein Verbot des Kinderkopftuchs für Mädchen unter 18 Jahren für den Schutz von Kinderrechten.“ Die NRW-Schulministerin hatte ein Verbot an Grundschulen zuletzt ausgeschlossen.
Kelek hofft trotzdem weiter auf ein Zeichen der Politik in Nordrhein-Westfalen, die 2018 mit Integrationsminister Joachim Stamp (FDP) und Integrationsstaatssekretärin Serap Güler (CDU) ein Kopftuchverbot für Kinder gefordert hat. „Es ist Zeit für ein Gesetz, das dafür sorgt, dass Kinder in Deutschland ohne das Symbol der Unterdrückung aufwachsen können.“