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Jul 14

SPD in Rheinland-Pfalz besorgt, weil AfD sich sozialen Themen zuwendet

MAINZ – In der Großen Koalition punkten. Themen finden, die nicht von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) besetzt werden: Im Mai ist das Bundesjustizministerin Katarina Barley (SPD) gelungen. In einem Gesetzesentwurf setzte sie durch, dass auch Gefährder ihre Familien nach Deutschland holen dürfen.

Ob dieser Verhandlungserfolg auf Gegenliebe bei den Mitgliedern gestoßen ist, lässt sich nicht sagen. Eine entsprechende Umfrage fehlt. Belegen lässt sich, dass die eigene Flüchtlingspolitik an der Basis nicht nur auf Zustimmung trifft. So ermittelte das Institut Civey im Mai etwa, dass 62 Prozent der SPD-Wähler entgegen der Parteilinie dafür seien, ankommende Asylbewerber in „Ankerzentren“ unterzubringen. Mit 20,5 Prozent holte die SPD im vergangenen Jahr im Bund ihr schlechtestes Ergebnis der Geschichte. In den Umfragen schneidet sie seitdem sogar noch schlechter ab. Interne Unstimmigkeiten über die Flüchtlingspolitik sind eine Ursache. Aber auch in ihrem ureigensten Feld ist sich die SPD nicht einig: in der Sozialpolitik.

„Soziale Gerechtigkeit“ war das Thema, das Martin Schulz in den Mittelpunkt seines Bundestagswahlkampfes stellte. Das hat nur mäßig geklappt. Die Frage aber ist, ob das an der fehlenden Zugkraft des Themas lag? Oder ob die SPD in diesem Bereich nicht glaubwürdig war?

Versuche, sich von der Agenda 2010 zu lösen

Zwar gibt es in der SPD immer wieder Versuche, sich von der Politik der Agenda 2010 zu lösen: also von Lockerung des Kündigungsschutzes, vom Abbau der Grenzen in der Leiharbeit oder vom Druck, der auf Arbeitslose ausgeübt wird, die keinen Job annehmen können oder wollen. Ihre Rolle als Mehrheitsbeschaffer für die Große Koalition mache die SPD dabei aber unglaubwürdig, heißt es in einer Wahlanalyse der Friedrich-Ebert-Stiftung.

Umso mehr verunsichert es sozialdemokratische Strategen, dass sich jetzt die AfD dem Sozialen zuwendet. Auf ihrem jüngsten Bundesparteitag hat die Alternative für Deutschland dieses Thema besprochen, eine Richtungsentscheidung aber aufs nächste Jahr vertagt.

Denn die AfD ist sich in der Frage selbst uneins. Unter ihrem Gründer, dem Wirtschaftsprofessor Bernd Lucke, entwickelte sie ein neoliberales Profil: niedrigere Steuern, weniger Sozialleistungen und Rechte für Arbeitnehmer. Seine Nachfolgerin Frauke Petry wollte eine Kurskorrektur einleiten. Sie erkannte, dass dem durchschnittlichen AfD-Wähler eine neoliberale Politik eher schaden würde.

Das Thema spielte bisher allerdings für die Außenwirkung der AfD kaum eine Rolle: Zuerst der Kampf gegen die Euro-Rettung, dann der gegen die Flüchtlingspolitik waren ihre Gewinnerthemen – und übertünchten alles. Als Vertreter einer Extremposition profitierte die AfD von der Polarisierung der Gesellschaft.

Nun erkennen einige Vordenker der Partei, dass sie auch in der Mitte der Gesellschaft punkten können. In Rheinland-Pfalz zählt der stellvertretende Parteivorsitzende Joachim Paul dazu. Die Strömung sucht nach Themen, die in einer Zielgruppe von Menschen gut ankommen, die mitten im Berufsleben stehen und Kinder zu versorgen haben. Ein Beispiel dafür ist eine bundesweit laufende Kampagne gegen Fahrverbote für Dieselfahrzeuge.

In der rheinland-pfälzischen SPD nehmen die Verantwortlichen solche Versuche der AfD ernst. Sie wissen um die Bedeutung von Themen für die Mitte der Gesellschaft – auch wenn diese auf den ersten Blick nicht sexy wirken: Gesundheitsversorgung auf dem Land, Breitbandausbau oder Fachkräftemangel waren auf dem Themenplateau, mit dem die SPD 2016 die Landtagswahl gewann.

Zwar ist die SPD im Land laut einer Infratest-Umfrage auf 29 Prozent abgesackt – liegt damit aber immer noch gut zehn Prozentpunkte vor den Werten, die sie in bundesweiten Umfragen erzielt. Ein wichtiger Grund dafür ist die Bodenständigkeit der Landespartei.

Sie muss aber mit Entwicklungen leben, die es im Bund gibt. Denn nur ein Teil der Partei will auf soziale Themen setzen. Ein anderer setzt auf gesellschaftspolitische Themen. Das führt mitunter zu seltsamen Blüten: So hat der SPD-Landesverband Berlin jüngst beschlossen, dass feminine Pornos staatlich finanziert werden sollen. Nicht gerade ein Gewinnerthema. Genau so wenig wie der Familiennachzug für Gefährder. Der wurde letztlich verhindert: von der Bundestagsfraktion der SPD.

Quelle: Allgemeine Zeitung

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