Eine Mehrheit der Deutschen sieht die Republik an der Belastungsgrenze bei der Flüchtlingsaufnahme. Im Westen ist die Skepsis größer geworden als im Osten. Vor allem die Sorge um die Sozialsysteme wächst.
Immer mehr Deutsche sehen die Belastungsgrenze für die Aufnahme weiterer Flüchtlinge erreicht. In einer Umfrage der Bertelsmann-Stiftung gab eine Mehrheit von 54 Prozent der Befragten an, Deutschland könne keine neuen Flüchtlinge mehr aufnehmen, weil die Kapazitäten erschöpft seien. Damit wachsen die Zweifel an der Aufnahmebereitschaft der Bundesrepublik deutlich im Vergleich zu 2015, als der Flüchtlingszuzug im Lauf des Jahres drastisch angestiegen war. Damals hatten noch 40 Prozent der Befragten die Republik an der Belastungsgrenze gesehen.
Ausschlaggebend für die wachsende Skepsis ist in erster Linie ein klarer Stimmungsumschwung in den westlichen Bundesländern: Inzwischen sind demnach 55 Prozent der Westdeutschen gegen einen weiteren Flüchtlingszuzug und 51 Prozent der Ostdeutschen. Die Stimmungslage mit Blick auf neue Flüchtlinge in West und Ost hat sich damit in den vergangenen zwei Jahren umgekehrt: So waren 2015 noch 38 Prozent der Westdeutschen gegen die Aufnahme weiterer Flüchtlinge eingestellt und 44 Prozent der Ostdeutschen.
Vor allem ältere Menschen sind skeptisch
Insgesamt ist die jüngste Gruppe der Befragten nach wie vor offener für die Aufnahme von Flüchtlingen aus humanitären Gründen als ältere Bevölkerungsgruppen. Gut die Hälfte der 14- bis 29-Jährigen ist aktuell wie vor zwei Jahren der Ansicht, Deutschland könne und solle mehr Flüchtlinge aufnehmen, weil dies humanitär geboten sei. Dagegen ging die Aufnahmebereitschaft der über 60-Jährigen in den vergangenen zwei Jahren drastisch zurück; nur noch 29 Prozent befürworten einen weiteren Zuzug – nach 53 Prozent im Jahr 2015.
Zwar hält eine Mehrheit im Westen die Aufnahmekapazitäten Deutschlands für erschöpft – dort wird allerdings eine ausgeprägtere Willkommenskultur wahrgenommen als im Osten. So geben 65 Prozent der Westdeutschen an, nach ihrer Einschätzung seien Flüchtlinge bei staatlichen Stellen vor Ort und in der dortigen Bevölkerung willkommen. Im Osten sagen dies indes nur 33 Prozent.
Im Einzelnen fürchtet eine große Mehrheit der Deutschen Belastungen des Sozialstaats (West: 78 Prozent, Ost: 84 Prozent), des Schulsystems (68 Prozent), des Wohnungsmarkts (65 Prozent) und Konfliktpotenzial zwischen Einheimischen und Migranten (72 Prozent) durch den Flüchtlingszuzug sowie durch Zuwanderung. Dagegen ist die große Mehrheit von 88 Prozent der Meinung, dass Flüchtlinge in Deutschland „rasch arbeiten dürfen“.
Konsens findet man in dem Wunsch nach mehr Solidarität innerhalb der Europäischen Union (EU). 81 Prozent der Befragten sprechen sich für eine EU-weite Lösung aus und fordern die Umverteilung von Flüchtlingen in andere Staaten.
Dennoch sehen 72 Prozent kulturelle Vielfalt als Bereicherung an – ein leichter Rückgang im Vergleich zu 78 Prozent im Jahr 2011, als die Frage nach der kulturellen Bereicherung erstmals erhoben wurde. Jeder vierte Befragte sieht eine multikulturelle Gesellschaft dagegen kritisch. 70 Prozent der Deutschen sind der Meinung, dass Minderheiten im öffentlichen Dienst unterrepräsentiert sind, etwa bei Lehrkräften und der Polizei.
In Sachen Integrationschancen der Zuwanderer gehen die Meinungen der verschiedenen Altersgruppen dagegen weit auseinander: Bei den über 60-Jährigen sehen drei Viertel der Befragten mangelnde Bildung der Migranten als Problem, unter den 14- bis 29-Jährigen sind es nur etwas mehr als die Hälfte der Befragten. Dagegen geben 70 Prozent der jungen Bevölkerungsgruppe an, Diskriminierung von Einwanderern zu erleben, was unter den Alten weniger als die Hälfte konstatiert.
Für die Umfrage wurden Anfang Januar 2017 rund zweitausend Bürger telefonisch befragt.
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