Deutschland kann Menschen, die schon in anderen europäischen Staaten Asyl gesucht haben, dorthin zurückschicken. Genau dies tat die Bundespolizei vor einem Jahr, als sie einen Afghanen an der Grenze ablehnte. Ein Gericht entschied nun anders.
Rund ein Jahr nach Abschluss des Rücknahme-Abkommens mit Griechenland muss Deutschland einen Flüchtling wieder zurückholen, den die Bundespolizei nach Griechenland gebracht hatte. Das hat das Münchner Verwaltungsgericht in einem Eilbeschluss entschieden.
Das Gericht meldet grundsätzliche Bedenken gegen die Praxis an, Asylsuchende an der deutschen Grenze zu stoppen und direkt nach Griechenland zu bringen. Konkret entschied es aber nur im Einzelfall und in einem Eilverfahren. Das Bundesinnenministerium will die aktuelle Praxis nicht ändern. Nach Angaben der Flüchtlingsorganisation Pro Asyl ist es die erste gerichtliche Entscheidung dieser Art.
Dass die Bundespolizeidirektion München dem Afghanen Ende Mai die Einreise nach Deutschland verweigert hatte und ihn per Flugzeug tags darauf wieder nach Griechenland brachte, stelle hoheitliche Eingriffe in subjektive Rechte dar und sei „voraussichtlich als rechtswidrig anzusehen“, erklärte das Gericht in dem Beschluss vom 8. August (Az.: M 18 E 19.32238). Die Bundesrepublik sei verpflichtet, dem Mann die vorläufige Einreise zu gewähren.
Die Kosten für die Rückführung nach Deutschland muss demnach die Bundesrepublik übernehmen. Sie kann den Beschluss nach Gerichtsangaben nicht anfechten. Wenn im Hauptsacheverfahren aber ein Urteil gesprochen wird, sind dagegen Rechtsmittel möglich.
Bundespolizei spricht von „Ausnahmefall“
Eine Sprecherin des Bundesinnenministeriums sagte in Berlin, die Regierung gehe davon aus, dass die zugrundeliegende Verwaltungsvereinbarung mit Griechenland rechtmäßig sei. Sie erklärte: „Die Bundespolizei wird weiter verfahren wie in dem Abkommen geregelt.“ Sie sprach von einem „Ausnahmefall“.
Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) hatte im August 2018 mit Spanien und Griechenland vereinbart, dass beide Länder binnen 48 Stunden Migranten zurücknehmen, die an der deutschen Grenze aufgegriffen werden und zuvor schon in Spanien oder Griechenland Schutz beantragt hatten. Laut Innenministerium wurden nach dieser Regelung bisher 29 Ausländer nach Griechenland gebracht. Zwei Asylbewerber mussten zurück nach Spanien. Ein ähnliches Abkommen mit Italien wurde von Rom nicht unterschrieben.
Der nun im Eilverfahren entschiedene Fall betrifft einen Afghanen, den die Bundespolizei am 28. Mai nach Übertritt der deutsch-österreichischen Grenze in einem Zug aufgegriffen hatte. Der Mann ist derzeit in Griechenland in Abschiebehaft, wie das Gericht und Pro Asyl mitteilten. Von der Bundespolizeidirektion München als Vertreterin der Bundesrepublik Deutschland lag zunächst keine Stellungnahme vor. Das Gericht selbst kann zum Vollzug des Beschlusses, sprich der Rückholung des Mannes, nichts sagen.
„Erhebliche Bedenken bezüglich der Rechtmäßigkeit“
Das Gericht hat dem Beschluss zufolge „erhebliche Bedenken bezüglich der Rechtmäßigkeit und der Existenz“ des Prozederes. Auch sei mit der Entscheidung der Bundespolizei eine Prüfung des Falls durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ausgeblieben. Das Gericht betonte, der Antragsteller habe glaubhaft gemacht, ihm drohe zeitnah von Griechenland aus die Abschiebung nach Afghanistan.
Es sei nicht gesichert, dass seine Asylgründe in Griechenland oder einem anderen Mitgliedsstaat jemals geprüft wurden, erläuterte ein Gerichtssprecher. Zudem bestünden Bedenken, ob Griechenland für das Asylverfahren überhaupt zuständig ist, „da systemische Mängel im griechischen Asylsystem nach vorläufiger Einschätzung nicht ausgeschlossen werden könnten“, hieß es weiter.
Jeder Asylbewerber habe aber nach europäischem Recht einen Anspruch darauf, dass sein Asylbegehren wenigstens einmal inhaltlich geprüft werde. Das Gericht beurteilte in diesem Fall die Rechtslage nur anhand des konkreten Einzelfalls. Eine gefestigte Rechtsprechung gibt es noch nicht.
Die Leiterin der Abteilung Rechtspolitik bei Pro Asyl, Bellinda Bartolucci, teilte dazu am Mittwoch mit: „Die Entscheidung zeigt, dass geltendes Recht nicht durch abstruse Wunschvorstellungen umgangen werden kann. Europarecht gilt auch an deutschen Grenzen.“
Rückführungen von Migranten, die in einem anderen europäischen Land bereits Asyl beantragt haben, sind grundsätzlich möglich. Das reguläre Verfahren ist aber umständlich. Oft können Betroffene am Ende in Deutschland bleiben, weil Fristen verfehlt werden. Die Zurückweisung an der Grenze soll dieses Verfahren umgehen.