Hamburg – In einem Hamburger Supermarkt nimmt ein abgelehnter Asylbewerber im Sommer 2017 ein Messer aus einer Auslage und sticht auf nichts ahnende Opfer ein. Ein Mann stirbt. Laut Anklage hatte die Tat einen islamistischen Hintergrund. Nun wird das Urteil gesprochen.
Der Angriff in einer Hamburger Edeka-Filiale kommt aus dem Nichts: Mit voller Wucht rammt Ahmad A. einem Kunden ein Küchenmesser in den Oberkörper. Der 50-Jährige stirbt noch am Tatort. Auf seinem Weg sticht der Attentäter auf einen weiteren Mann im Supermarkt und fünf Passanten auf einer belebten Einkaufsstraße ein. Sie erleiden zum Teil schwere Verletzungen. Das sei Gottes Wille gewesen – so erklärt A. seine Tat vom 28. Juli 2017 später einem psychiatrischen Gutachter.
Die Bundesanwaltschaft ist überzeugt, dass das Verbrechen im Stadtteil Barmbek islamistisch motiviert war und fordert lebenslange Haft für den 27-Jährigen. Am Donnerstag will das Hanseatische Oberlandesgericht ein Urteil sprechen.
Nach Meinung von Anklage und Nebenklage hat sich Ahmad A. des Mordes sowie versuchten Mordes und der gefährlichen Körperverletzung in sechs Fällen schuldig gemacht hat. Der Angreifer habe heimtückisch und aus niedrigen Beweggründen gehandelt. Es sei zudem die besondere Schwere der Schuld festzustellen.
Dann wäre eine vorzeitige Haftentlassung nach 15 Jahren rechtlich zwar möglich, in der Praxis aber so gut wie ausgeschlossen.
In den sechs bisherigen Verhandlungstagen hat der Staatsschutzsenat versucht herauszufinden, wie der nicht vorbestrafte Angeklagte – den Zeugen als nett, hilfsbereit und intelligent beschrieben – zu einem so grausamen Verbrechen fähig sein konnte.
Was hat den Mann, den die Anklage für voll schuldfähig hält, angetrieben? Dazu hat Ahmad A. in seinem Geständnis nur wenig gesagt, keine Nachfragen erlaubt.
Rückblende: Der Palästinenser wird 1991 in Saudi-Arabien geboren, später lebt die Familie in Gaza. Die Eltern sind Muslime, aber nicht streng gläubig. Ahmad A. macht Abitur, beginnt ein Studium der Zahnmedizin. Doch das westliche Leben fasziniert ihn – 2008 macht er sich auf den Weg nach Europa.
Nach mehreren Stationen kommt er 2015 nach Hamburg. „Er wollte sein Studium als Zahnarzt abschließen und eine Praxis eröffnen“, berichtet ein Freund im Prozess. Doch auch in Deutschland kann er nicht bleiben, sein Asylantrag wird Ende 2016 abgelehnt. Weil Papiere fehlen, verzögert sich die Ausreise.
„Erst in Deutschland nahm sein Glaube radikalere Züge an“, erklärt die Vertreterin der Bundesanwaltschaft, Yasemin Tüz, in ihrem Plädoyer.
Der Angeklagte verändert sich, sein Verhalten ist wechselhaft. „Ein Mann mit zwei Gesichtern“, sagt der Freund. Ein Ex-Mitbewohner berichtet, mal habe Ahmad A. von der Freiheit in Deutschland geschwärmt, sich westlich gekleidet und Drogen konsumiert – dann wieder habe er ein weißes Gewand getragen, sich ganz dem Glauben zugewandt und Bekannte als „Hunde“ beschimpft. In einem Flüchtlingscafé hält Ahmad A. eine als bedrohlich empfundene Rede.
Die Behörden erhalten Warnungen. Sie seien teilweise nicht schnell und nicht gründlich genug mit Hinweisen auf die psychische Instabilität des Täters und seine Hinwendung zum radikalen Islam umgegangen, sagt Innensenator Andy Grote (SPD) zwei Wochen nach der Tat im Innenausschuss der Hamburgischen Bürgerschaft.
Eine besondere Rolle spielte laut Bundesanwaltschaft für Ahmad A. der im Juli eskalierte Konflikt zwischen muslimischen Gläubigen und israelischen Sicherheitskräften um den Tempelberg in Jerusalem. Er habe die Zugangsbeschränkungen zur Al-Aksa-Moschee als ungerecht und unerträglich empfunden. Auch Deutschland sei aus seiner Sicht dafür mitverantwortlich gewesen.
Daher sollten deutsche Staatsangehörige christlichen Glaubens gleichsam als Sühne sterben, heißt es. „Er gab Gott ein dahingehendes Versprechen“, sagt der zweite Anklagevertreter im Prozess, Ulrich Kleuser. „Er hat wahllos Opfer ausgesucht und willkürlich auf sie eingestochen.“
Kurz nach der Bluttat nennt sich Ahmad A. in einer Vernehmung selbst Terrorist, bedauert, dass er nicht noch mehr Menschen töten konnte. Nach Angaben der Anklage sympathisierte er zwar mit dem Islamischen Staat, war aber kein Mitglied der Terrormiliz.
Zunächst wirkt der 27-Jährige im Prozess teilnahmslos. Mit starrem Gesichtsausdruck verfolgt er die Schilderungen der Opfer, streicht sich immer wieder durch seinen dichten Bart. Kein Wort der Reue ist zu hören – bis zum Tag der Plädoyers. Er erscheint frisch rasiert, senkt den Blick, als die Anklage seine Taten noch einmal schildert. In seinem letzten Wort bittet er die Opfer um Verzeihung. Der Verteidiger betont, sein Mandant sei heute ein anderer Mensch.
Fotos: dpa/Daniel Reinhardt, dpa/Markus Scholz, dpa/Paul Weidenbaum