Der Jüngste war 14 Jahre alt: Acht Jungen sollen im April in Velbert Nordrhein-Westfalen ein Mädchen missbraucht haben. Nun hat der Prozess begonnen.
Wochenlang wurde er mit internationalem Haftbefehl gesucht, dann hat ihn die Polizei im bulgarischen Plowdiw aufgegriffen: einen 15 Jahre alten Jungen, der zusammen mit sieben Kumpels ein Mädchen in Velbert vergewaltigt haben soll. Beamte der Polizeibehörde Mettmann brachten ihn am Donnerstag von Sofia nach Deutschland.
Der Prozess in dem Fall beginnt an diesem Freitag – allerdings ohne den 15-Jährigen. Er wird die Nachrichten von der Verhandlung zunächst in seiner Zelle in der Untersuchungshaft verfolgen, ebenso wie ein anderer, 14-jähriger Beschuldigter, der vor zwei Wochen aus Bulgarien geholt wurde. Vor dem Wuppertaler Landgericht stehen zunächst nur die sechs übrigen Mitglieder der Clique. Das Verfahren ist auf acht Tage angesetzt und nicht öffentlich.
Die acht Teenager, manche davon fast noch Kinder, sind zwischen 14 und 17 Jahre alt, sie sollen im April dieses Jahres eine 13-jährige Schülerin zunächst im Schwimmbad sexuell belästigt haben. Auf dem Heimweg am frühen Abend haben die Jungen das Mädchen laut Anklage in einem gegenüberliegenden Waldstück abgepasst und hinter die Bäume gezerrt.
Die beiden Hauptangeklagten, 14 und 15 Jahre alt, sollen die 13-Jährige mehrfach vergewaltigt haben. Die übrigen sechs standen dabei, manche befriedigten sich selbst, ein anderer filmte das Verbrechen mit seinem Handy. Etwa eine Minute dauert der Mitschnitt, den sie laut Anklage anschließend wie eine Trophäe herumzeigen wollten. Wie lange das Martyrium des Mädchens dauerte, ist unklar.
Zur selben Zeit hatten sich die Eltern bereits auf die Suche nach ihrer Tochter gemacht. Erst als eine Passantin am Tatort vorbeikam, hätten die Jugendlichen von dem Mädchen abgelassen. Bei der Polizei sagten sie später aus, dass sie eigentlich weitermachen wollten.
Die Tat hat tiefe Wunden in die Seele des Opfers geschlagen. „Sie ist seitdem sehr in sich gekehrt und traut sich nur noch in Begleitung nach draußen“, sagt Rechtsanwältin Anke Tillmanns-Larisch, die das Mädchen als Nebenklägerin im Prozess vertreten wird. Ihre Mandantin sei in psychologischer Behandlung, ansonsten vermeide sie es, über die Tat zu sprechen.
„Sie hat es doch gewollt“
Die Vergewaltigung von Velbert hat auch bei den Ermittlern Spuren hinterlassen. „Ich bin seit 25 Jahren im Geschäft, aber dieser Fall hat mich persönlich besonders betroffen gemacht“, sagt der Wuppertaler Oberstaatsanwalt Wolf-Tilman Baumert. „Es ist die Urangst aller Eltern, dass das eigene Kind auf dem Weg nach Hause einfach weggeschnappt wird.“ Besonders bedrückt habe ihn, „dass Jugendliche in diesem Alter zu so etwas fähig sind“.
Die meisten Angeklagten und ihre Familien sind noch nicht lange in Deutschland, manche gerade mal ein Jahr. Einige kannten sich dem Vernehmen nach schon aus der Heimat, wo sie im südbulgarischen Plowdiw als Teil einer türkischen Minderheit aufwuchsen.
Auch wenn das Deutsch noch holprig sei, so sei die Integration recht gut gelungen, sagen zwei ihrer Verteidiger. Die Väter hätten Arbeit gefunden, die Kinder besuchten deutsche Schulen.
Nach der Tat geisterten schnell Meldungen durch die sozialen Netzwerke, Flüchtlinge hätten ein deutsches Mädchen vergewaltigt. Baumert ärgert sich: „Es stimmt einfach nicht. Es waren keine Flüchtlinge. Bulgarien ist ein EU-Land.“
Das Mädchen hat selbst auf Facebook nach den Tätern gesucht
Beeindruckend fand Baumert, dass das Opfer die Stärke hatte, zur Aufklärung beizutragen. Mit einer Freundin durchstöberte sie Facebook-Gruppen, bis sie auf einem Foto einen der mutmaßlichen Täter wiedererkannte. Mit dem Bild machte sich die Polizei auf die Suche und nahm dann einen nach dem anderen fest. Bei zwei der Verdächtigen standen die Beamten vor leeren Wohnungen. Die Familien hatten sich wohl eilig nach Bulgarien abgesetzt.
Ein Vater allerdings habe bestritten, dass die Fahndung der deutschen Behörden nach seinem Sohn der Grund für den fluchtartigen Umzug gewesen sei. Angeblich habe er seinen Job verloren und wenig Aussicht auf neue Arbeit in Deutschland gehabt.
Einige der Angeklagten haben die Tat in den Vernehmungen eingeräumt. Nur von Reue sei dabei nichts zu spüren gewesen. „Sie haben die Tat bagatellisiert“, sagt Oberstaatsanwalt Baumert. „Sie hat es doch gewollt“, hätten sie ausgesagt. „Diese Menschen haben keinerlei Unrechtsbewusstsein“, sagt Opferanwältin Tillmanns-Larisch. „Es ist erschreckend zu sehen, dass es für die Jungs offenbar völlig selbstverständlich war.“
Zwei der Verteidiger beteuern, dass sich die Haltung ihrer Mandanten unter dem Eindruck der Untersuchungshaft geändert habe. „Er hat es anfangs einfach abgetan, das stimmt. Aber inzwischen hat er sich intensiv mit der Tat auseinandergesetzt“, sagt Rechtsanwalt Vincenzo Cappa, der einen 14 Jahre alten Jungen vertritt, der wegen Mittäterschaft angeklagt ist.
Auch der 17-Jährige, der Älteste der Angeklagten, habe die Dimension des Verbrechens erkannt. „Es tut ihm leid, was passiert ist“, sagt Verteidiger Christoph Pipping. „Es ist ihm klar geworden, dass eine solche Tat für das Opfer Folgen haben kann, die man zeitlebens nicht in den Griff bekommt.“
Und doch sei er bei der Tat nur eine Randfigur gewesen. „Die Tat war nicht geplant und geschah eher aus einer Art Gruppendynamik heraus“, so Pipping. „Mein Mandant kam erst etwas später dazu. Er fand nicht richtig, was da passierte. Aber weil er der Älteste war, wollte er nicht kneifen.“ Beide Beschuldigten hätten mit ihren Eltern bereits über die Möglichkeit einer Entschädigung gesprochen, sagen die Verteidiger.
Der Prozessauftakt am Freitag wird für die Verfassung des Opfers entscheidend sein. Denn sollten die Angeklagten schweigen oder gar bestreiten, bliebe dem Mädchen eine Aussage vor Gericht nicht erspart – sie soll dann am kommenden Montag stattfinden. „Für sie wäre das der Horror“, sagt ihre Anwältin Tillmanns-Larisch. „Sie will denen, die ihr das angetan haben, auf keinen Fall noch einmal begegnen.“
Verteidiger Pipping hat seine Unterstützung angekündigt. „Wir wollen dazu beitragen, dass das Gericht auf ihre Aussage verzichten kann.“
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