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Jan 27

65 Prozent der Flüchtlinge noch ohne Job | Studie zur Integration

Eine groß angelegte Studie zeigt, dass die Integration von Flüchtlingen in Deutschland vorangeht – auch wenn weiterhin der Großteil ohne Job und gute Deutschkenntnisse dasteht.

Immer mehr Flüchtlinge, die in Deutschland leben, haben einen Job und beherrschen die deutsche Sprache. Das ist das Ergebnis einer Befragung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge und des Sozio-Ökonomischen Panels. Die Zahlen verraten jedoch auch: Die meisten Flüchtlinge sind weder in den Arbeitsmarkt integriert, noch haben sie sichere Deutschkenntnisse. Insgesamt funktioniere die Integration jedoch deutlich schneller als 2015 vorhergesagt, so die Autoren der Studie.

Für die Studie wurden bereits 2016 rund 7500 Flüchtlinge befragt. Im zweiten Halbjahr 2017 wurden 5500 davon noch einmal aufgesucht, um die Ergebnisse miteinander zu vergleichen.  Von „deutlichen Fortschritten“ kann vor allem im Bereich Sprache die Rede sein, betont die Integrationsforscherin Nina Rother vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Bei der Einreise hätten 90 Prozent der Flüchtlinge angegeben, gar keine Deutschkenntnisse zu haben. Im Jahr 2016 hätten 18 Prozent, bei der vergangenen Befragung 33 Prozent „sehr gute Kenntnisse“ gehabt. Ein weiteres Drittel habe „mittlere“ Deutschkenntnisse. Insgesamt hätten 75 Prozent irgendeine Sprachförderung besucht. Das heiße im Umkehrschluss aber auch, dass 25 Prozent noch keinen Zugang zu Sprachkursen hatten. „Insgesamt sehen wir deutliche Fortschritte. In einigen Gruppen aber auch Verbesserungspotential“, so Rother.

„Deutlich beschleunigt“ hat sich laut Migrationsforscher Herbert Brücker auch die Integration in den Arbeitsmarkt. Dass über 30 Prozent der Flüchtlinge in Deutschland einen Job hätten, habe die Erwartungen von 2015 „deutlich überstiegen“. Zu beobachten sei jedoch eine deutliche „Dequalifizierung“. Soll heißen: Flüchtlinge, die in ihrer Heimat gute Jobs mit einer hohen Qualifizierung hatten, machen in Deutschland eher einfache Tätigkeiten. So gaben 15 Prozent an, vor ihrer Ankunft in Deutschland eine „hochkomplexe Expertentätigkeit“ ausgeübt zu haben. Nur drei Prozent, dass sie eine Arbeit auf diesem Niveau auch in Deutschland gefunden hätten. Rund 80 Prozent der Jobs von Flüchtlingen seien sozialversicherungspflichtig, etwa 20 Prozent Minijobs. Ein ernüchterndes Bild zeigt die Bezahlung: Wer einen Vollzeit-Job angenommen hat, kommt laut der Studie auf ein Durchschnittsgehalt von 1564 Euro – brutto.

SOEP hatte Probleme mit „betrügerischen Interviews“

Um herauszufinden, wie gut die Befragten Deutsch sprechen, wurden in der Studie allerdings keine Tests durchgeführt. Vielmehr beruhen die Angaben auf einer Selbsteinschätzung. Aber ist es dann nicht wahrscheinlich, dass die Befragten eine Antwort geben, die sozial erwünscht ist? Sie sich selbst also attestieren, gut Deutsch gelernt zu haben? Rother hält das für ein „schwieriges Thema“. Eigentlich benötige man einen Test, um sozial erwünschte Antworten zu entlarven. In der aktuellen Studie habe man jedoch auch die Interviewer um eine Einschätzung gebeten und die Ergebnisse mit denen der vergangenen Untersuchung verglichen. „Sozial erwünschte Antworten mag es in Einzelfällen gegeben haben“, sagt Rother. Wäre es die Regel gewesen, hätte man jedoch „deutliche Abweichungen“ gesehen. „Das war nicht der Fall.“

In die Kritik war das Sozio-Ökonomische Panel in der Vergangenheit geraten, nachdem die Forschungseinheit im Dezember 2017 „betrügerische Interviews“ eingeräumt hatte. Eine Interviewerin hatte damals Befragungen in die Untersuchung einfließen lassen, die nie stattgefunden haben. Das Ergebnis der damaligen Studie verschob sich durch die offenbar zum Teil erfundenen Antworten leicht in die Richtung, dass Flüchtlinge besser integriert seien. SOEP-Direktor Jürgen Schupp betont, die damalige Untersuchung sei noch einmal durchgerechnet worden. „Daraus ergaben sich Abweichungen von etwa einem Prozent“, sagt der Arbeitsmarktexperte. Grundlegend habe sich das Ergebnis der Studie also nicht verändert. „Seither wurden die Kontrollmechanismen und das Monitoring verbessert“, so Schupp. „Die Daten der jetzigen Untersuchung seien „absolut belastbar“. Insgesamt sei die Wahrscheinlichkeit bei einem Panel – also einer fortlaufenden Untersuchung – deutlich höher als bei einer Einzelbefragung.

Die Untersuchung betrachtete auch die Gesundheit der Schutzsuchenden und macht sie als erheblichen Faktor für gelingende Integration aus. Insgesamt seien 87 Prozent vor Krieg und Verfolgung geflohen. Gewalt, sexueller Missbrauch, Schiffbruch, willkürliche Gefängnisaufenthalte seien bei vielen ein Teil der Fluchterfahrung. Das hat offenbar Folgen: Das Risiko, an einer posttraumatischen Belastungsstörung zu erkranken, sei deutlich höher – bei Männern um 35, bei Frauen sogar um 50 Prozent. Auch depressionsbezogene Symptome seien deutlich wahrscheinlicher und stiegen mit dem Alter. Da psychische Erkrankungen ein erhebliches Hindernis bei Jobsuche oder dem Erlernen einer Sprache darstellen könnten, empfehlen die Autoren der Studie, Flüchtlingen „niedrigschwellige Angebote“ zu machen, um Hilfe bei psychischen Problemen zu bekommen. Systematische Screenings seien wichtig, um Probleme frühzeitig zu erkennen. Eine „umfassende gesundheitliche Versorgung“ sei eine „zentrale Herausforderung für die Zukunft“.

Quelle: ntv

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