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Jun 03

Arasch R. – Lebenslange Haft für versuchten Mord an Hells-Angels-Boss

Das Hamburger Landgericht ist überzeugt, dass der 28-Jährige den Mord in Auftrag gegeben hat. Hier mit seinem Anwalt Wolf Dieter Reinhard
Quelle: dpa/Christian Charisius

Der Schütze, der im vergangenen Sommer die Schüsse auf einen Rockerboss auf St. Pauli abfeuerte, ist noch immer flüchtig. Der Auftraggeber und seine Freundin aber müssen nun für viele Jahre hinter Gitter.

Nach der Urteilsverkündung zeigt Arasch R. eine Reaktion, wohl zum ersten Mal während des Prozesses. Nicht, als das Urteil verkündet wird, das den 28-Jährigen für mindestens 15 Jahre hinter Gitter verbannt. Und auch nicht, als der Richter die Qualen des Opfers beschreibt, das sein restliches Leben lang ein medizinischer Problemfall bleiben wird. Es ist, als sich die Schwester des Verurteilten nach dem Ende der Verhandlung an der Glasscheibe zeigt, die den Verhandlungssaal und den Raum für die Zuschauer trennt. Die Geschwister werfen sich Handküsse zu.

Kurz nachdem der Ex-Mongols-Rocker in die Gerichtskatakomben geführt wird, deren Gänge zur nahen U-Haftanstalt führen, eskaliert die Situation: Als R.s Familie auf dem Flur auf die Journalisten trifft, kommt es zu Handgreiflichkeiten. Kameraleute werden geschubst, bepöbelt, „Hurensöhne“, schallt es über den Flur. Ermittler des Landeskriminalamtes, die das Prozessende beobachtet hatten, werden angegangen. Die Justizbeamten haben alle Mühe, die aufgebrachten Familienmitglieder aus dem Strafgerichtsgebäude zu geleiten.

„Lebenlang“ lautete am Montag das Urteil des Landgerichts, dessen Richter davon überzeugt sind, dass Arasch R. aus dem Gefängnis heraus zu jenem Anschlag auf den Hamburger Hell Angels-Boss Dariusch F. angestiftet hatte, bei dem der 37-Jährige Ende August 2018 am Millerntorplatz in seinem Bentley-Coupé von fünf Projektilen, Kaliber 7,65Millimeter, getroffen und fast getötet wurde. Die Tat war ein Mordversuch mit „Hinrichtungscharakter“, sagte der Vorsitzende der Strafkammer 2, Matthias Steinmann.

Verurteilt wurde auch Lisa S., die Freundin von Arasch R., die sich für diesen bundesweit in Modellwohnungen prostituierte. Sie hatte am Steuer des Mercedes gesessen, aus dessen Beifahrerfenster die Schüsse kurz vor Mitternacht abgegeben worden waren. Die zur Tatzeit 23-Jährige hatte den Schützen zuvor abgeholt und nach dem Anschlag am Zentralen Omnibusbahnhof (ZOB) abgesetzt, bevor sie nach Limburg in Hessen flüchtete. Lisa S. muss zwölfeinhalb Jahre in Haft, so das Urteil.

Den Schüssen wehrlos ausgesetzt

Heimtückisch und aus niederen Beweggründen soll das Paar gehandelt haben. Die fünf Schüsse zeigten den „Vernichtungswillen“. Dariusch F. habe mit dem Angriff nicht rechnen können. Seine schusssichere Weste lag im Kofferraum seines Sportwagens. Auf dem Fahrersitz seines Wagens sei er den Schüssen wehrlos ausgesetzt gewesen. Wer die Schüsse abgegeben hat, ist unklar. Die Hauptschuld jedoch treffe den 28-Jährigen. „Es folgt aus der Beweisaufnahme ohne Zweifel, dass er der Auftraggeber war“, sagte Steinmann.

Richter Steinmann bezeichnete die Tat als persönlichen Racheakt zweier Männer, die sich hassten. Der Anschlag war wohl das Ergebnis einer jahrelangen Fehde, die im Rockermilieu ihren Ausgang gefunden hatte: Arash R. hatte eine Zeit lang als Vizechef der Rockergruppe „Mongols“ amtiert. Eine Fehde, die schon einmal Opfer gefunden hatte: 2016 waren es Arasch R. und Lisa S., die bei einem ähnlich heimtückischen Anschlag schwer verletzt worden waren. Die Tat ist bis heute nicht aufgeklärt. Arasch R. und Lisa S. aber hatten Dariusch F. dafür verantwortlich gemacht.

Mit der Familie gebrochen

Richter Steinmann begründete das unterschiedliche Strafmaß insbesondere mit der Abhängigkeitsverhältnis, das Lisa S. an Arasch R. band. Die Frau, die in Schnelsen aufwuchs, hatte eine Lehre zur OP-Schwester abgebrochen, war früh in der Prostitution gelandet und hatte dort Gewalt durch Zuhälter erfahren. Während sie mit ihrer Familie gebrochen hatte, fand sie Zuflucht in Arasch R.s Familie, mit der sie unter einem Dach lebte. Arasch R.s Eltern nannte sie „Mama“ und „Papa“.

Mit Arasch R. habe sie eine gemeinsame Zukunft aufbauen wollen, mit ihm auswandern, das Leben in Hamburg und die Prostitution, der sie nur ungern nachgegangen sei, hinter sich lassen wollen. In Nachrichten, die die Polizei abfing, habe sie den 28-Jährigen als „Traummann“ bezeichnet, als „Herz“, als ihren „König“. Sie habe eine „sehr sehr emotionale Bindung“ zu Arasch R. gehabt, betont Richter Steinmann.

Rolle als Fahrerin gestanden

Lisa S. sei noch sehr jung und das erste Mal in Haft, betonte Steinmann. Die Tat selbst, die sie vom Fahrersitz aus verfolgte, habe sie als den „Schock ihres Lebens“ erlebt, wie sie selbst vor Gericht ausgesagt habe. Überhaupt hatte sie, im Gegensatz zu dem Mitangeklagten, wenn auch spät im Prozess, eine Aussage gemacht und ihre Rolle als Fahrerin gestanden. Damit habe sie eine gewisse „Aufklärungsleistung“ gezeigt, hieß es. Lisa S. brauche Perspektiven, sagte Richter Steinmann. Bei guter Führung und abzüglich ihrer Zeit in Untersuchungshaft könnte sie bereits nach etwas mehr als siebeneinhalb Jahren entlassen werden.

Bei Arasch R. hingegen glaubt das Gericht nicht an Besserung: Der Anschlag auf den Hells Angels ist der wohl traurige Höhepunkt in der kriminellen Karriere des Zuhälters, der vier Tage nach seinem 14. Geburtstag zum ersten Mal straffällig geworden war, der sich seitdem immer wieder über Regeln hinwegsetzte und mit dem Gesetz in Konflikt kam: wegen Drogendelikten, Verstößen gegen das Waffengesetz, wegen Überfällen, vor allem aber wegen Körperverletzungsdelikten. Einmal biss er einem Kontrahenten in einer Diskothek ein Stück des Ohres ab.

„Wir sind Bonnie und Clyde.“

Arasch R. habe nicht als Verlierer „aus der Sache“ herausgehen wollen. „Blutrache, das ist bei uns Gesetz“, soll der Mann aus einer afghanisch-stämmigen Familie laut Steinmann in einem abgehörten Gespräch gesagt haben. Der „Hurensohn“ müsse sterben. Eine Woche nach der Tat hatte Lisa S. ihren Geliebten in der JVA Billwerder besucht – und die Polizei den Besucherraum verwanzt. „Wir sind jetzt richtige Gangster“, jubelten die beiden. „Wir sind Bonnie und Clyde.“ Ihr gemeinsamer Feind liege jetzt in Pampers.

Dariusch F. selbst hatte nicht zur Aufklärung des Falls beigetragen. Er hatte, so Richter Steinmann, kein Interesse, dass die Tat von der Polizei aufgeklärt würde. Eine Aussage verweigerte er, den Antrag auf Nebenklage zog er kurz vor Beginn des Verfahrens zurück. Immerhin hatte er den behandelnden Arzt von der Schweigepflicht entbunden und Einblick in seine Krankenakte zugelassen – in der die verheerenden Folgen des Anschlags dokumentiert sind.

Teil des Rückenmarks verletzt

Der Rocker ist seit dem Anschlag querschnittsgelähmt. Eine Kugel war in den Oberkörper eingedrungen, an einer Rippe abgeprallt und hatte einen Teil des Rückenmarks zerfetzt. Die Lunge wurde durch einen Schuss in die Brusthöhle verletzt. Kugeln trafen den Hinterkopf, die Schultern. Der ehemalige Kickboxer hat immer wieder spastische Lähmungen. Das Gericht hatte auf eine Ladung des Hells Angel als Zeugen verzichtet. Damit sei dem Gericht die direkte Konfrontation erspart geblieben, der Prozess habe ohne „Nebengeräusche“ ablaufen können.

Auch mit den Urteilen ist die Aufarbeitung nicht beendet. Im Laufe des Prozesses waren die Ermittlungen gegen den unbekannten Schützen fortgeführt worden. Während eines der letzten Prozesstage war bekannt geworden, dass die Polizei gegen mehrere Bulgaren ermitteltet, die bereits wegen banden- und gewerbsmäßiger Fälschung von Scheckkarten und Computerbetrugs verurteilt worden waren. Es heißt, der Haupttatverdächtige könnte sich nach Bulgarien abgesetzt haben.

Quelle: Welt

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