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Feb 09

Außenpolitik: Deutschland hat bald keine großen Verbündeten mehr

Die Erwartungen waren hoch: Von Merkels Besuch in Warschau erhofften sich viele, dass Polen und Deutschland unter dem Eindruck des neuen US-Präsidenten Trump wieder zueinander finden würden. Quelle: N24/Larissa Herber

Donald Trump, vielleicht Marine Le Pen: Wenn es schlecht läuft, steht Deutschland erstmals seit 1945 ohne große Verbündete da. Genau das sollte immer vermieden werden. Dann blieben zwei Optionen.

st Deutschland zum ersten Mal seit 1945 wieder allein? Es schlummert ein solches Gefühl im Land, seit Donald Trump den Westen auf den Kopf stellt. In den Umfragen sind die USA als vertrauenswürdiger Partner binnen zwei Wochen auf dieselben Kellerwerte wie Russland und China abgestürzt – von 50 auf 20 Prozent.

Die USA galten zwar manchmal auch schon früher nur knapp 30 Prozent der Deutschen als vertrauenswürdiger Partner, zum Beispiel vor dem Golfkrieg 2003 oder auch 2013 unter Barack Obama. Und auch früher haben die Deutschen manchmal geglaubt, Amerika könne sie im Stich lassen.

1950 schien Washington sich in Korea zu verkämpfen, noch bevor Europa auch nur halbwegs gesichert war. Dann kam die Angst vor einem Atomkrieg und als er 1962 nur haarscharf abgewendet war, fing Amerika wieder an, sich in Ostasien zu verstricken, während zugleich Frankreich Knall auf Fall die Nato verließ.

Nationalismen in USA, Frankreich, Ungarn

Aber noch nie hat Amerika offen die Einheit des Westens infrage gestellt, die mit dem Marshallplan und der Nato-Gründung geschaffen worden ist. Noch nie seit Bestehen der Bundesrepublik hat Amerika einen derart drastischen Vertrauensverlust erlitten wie zu Beginn der Amtszeit Trumps.

Noch nie gab es die gefühlte Gleichsetzung der USA mit Staaten wie Russland oder China – und noch nie sind in einer solchen Lage alle anderen Partner Deutschlands ebenfalls auf Abenteuerkurs gegangen.

Rund um Deutschland gibt es eine nationale Aufwallung. Ungarn, Polen, seit dem Brexit auch Großbritannien sind schon von ihr beherrscht. Die Niederlande könnten in wenigen Wochen mit Geert Wilders folgen, vielleicht auch Frankreich mit Marine Le Pen im Mai. In Österreich verharrt die FPÖ vor den Toren des Kanzleramts.

Alte Wagenburg-Instinkte

Griechenland sieht aus wie eine mühsam gebändigte Anarchie, Italien wirkt manchmal so, als sei es nur eine Frage der Zeit, bis auch dort das Unterste zuoberst gekehrt wird, und die Türkei ist auf dem Weg in eine islamische Autokratie. In der Ukraine geht der Krieg wieder los, und der Vermittler in dieser Krise, Weißrussland, stellt sich plötzlich zusammen mit Kiew gegen Moskau auf die Hinterbeine.

Überall klingt es nach Türen zuschlagen, nach quietschenden Scharnieren, nach ungeduldigem Zerren an Klinken und nach näher kommenden Gesängen aus der Vergangenheit.

Dass US-Konzerne zeitgleich den Alltag umkrempeln und die Zukunft usurpieren, während die Fluchtwelle aus dem Nahen Osten und Afrika an 2000 Jahre alte Wagenburg-Instinkte rührt (Perser, Hunnen, Araber oder Türken kamen aus dem Süden oder Osten), ist das psychologische i-Tüpfelchen.

Eigenständige europäische Atomstreitmacht?

Googles Macht verkörpert wie Trump die Enteignung der deutschen Zukunft, die Balkanroute ist das Sinnbild der Bedrohung Europas von außen seit der Antike. Der Reflex, Türen zuwerfen zu wollen, ist groß – in München mehr als in Emden, in Ungarn stärker als in Bayern.

Deutschland allein. Donald Trump reißt den Deutschen mitten in der Nacht die Decke weg, und urplötzlich sitzen sie aufrecht im Bett und starren in die Dunkelheit. Schon regt der außenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion eine eigenständige europäische Atomstreitmacht an, gestellt von Frankreich und England, finanziert über die EU.

Der Vorschlag, kaum ausgesprochen, wirkt schon überholt, denn Marine Le Pen will die Nato und die Euro-Zone verlassen und Frankreichs Verteidigung ganz sich selber zuordnen. Andere Stimmen sehen Angela Merkel als Verteidigerin des Westens.

Dagegen wehrt sie sich, zu Recht, denn wenn noch etwas von der EU und der Nato übrig bleiben soll, muss die Kanzlerin in deren Spitzengremien auch mit den Trumps, Wilders und Le Pens einen Konsens suchen.

Als deutsche Jeanne d’Arc wird ihr das nicht gelingen. Martin Schulz könnte die Populisten offener angreifen. Aber er weiß so gut wie Merkel, dass solche Worte wohlfeil werden, sollte er ab dem 25. September statt Merkel für Deutschland sprechen.

In der AfD und bei der Linken wittern manche die Rückkehr der Bismarckzeit – Deutschland als souveräner Schiedsrichter in Europas Mitten, befreundet mit Russland, möglichst auch mit Frankreich. Die anderen Parteien hoffen vorerst, dass sich die Ungewissheit über Amerika und Frankreich schon legen werde.

Wenn der Nato-Gipfel im Mai vorüber sei, wenn Le Pen eben doch nur etwas mehr als ein Drittel der Stimmen bekommen und der G-20-Gipfel im Juli vielleicht zu einem ersten Kompromiss Trumps mit der Realität geführt hat, werde sichtbar werden, dass das seit 1945 entstandene Vertragsnetz eben doch stärker sei als befürchtet.

Kontinent der zwei Geschwindigkeiten

Und wenn nicht? Wenn die Gegenkandidaten Le Pens allesamt über eigene Fehler stürzen und Trump wirklich die Lektion von 1945 verwirft, dass Amerika nur vor Überraschungen sicher ist, wenn es den Westen eint?

In Krisen haben die Deutschen seit 1949 gern zwei Auswege gesucht – das feste Bündnis mit dem jeweils hilfreichsten Partnerland oder die weltpolitische Neutralität. Ersteres scheint heute nicht möglich zu sein. Letzteres haben alle Bundeskanzler gefürchtet, weil Neutralität nur die Vorstufe zur Einigelung zu werden verspricht, mit großen Folgen für das Exportland Deutschland. Genau dies aber, der Rückzug in die Neutralität, kann mit Trumps Eskapaden kommen.

Das „Europa der zwei Geschwindigkeiten“ ist potenziell ein solcher Weg. Ohne Frankreich, ohne Holland bliebe eine deutsch-skandinavisch-baltische Stabilitätszone übrig. Auch das Gefühl, ein Wahlkampfslogan wie Adenauers „Keine Experimente“ treffe jetzt die Gefühlslage, weist in eine derartige Richtung.

Deutsch-skandinavisches Mitteleuropa

Wladimir Putin bräuchte den militärischen Druck auf sein Vorfeld nur ein wenig zu erhöhen, um ein deutsch-skandinavisches Mitteleuropa davon zu überzeugen, dass es besser sei, die Lande jenseits des Bug lieber sich selber, sprich Russland zu überlassen.

Trump hat durch seine Sprunghaftigkeit die Sicherheitsgarantie so weit entwertet, dass auf sie auch dann kein Verlass zu sein scheint, wenn er sie über Nacht doch wieder zur Staatsräson erhebt. Ein Dealmacher hat weder Werte noch Freunde, er hat nur Eigeninteressen – das kennt man aus dem Alltag.

Deutschland allein. Niemals wieder hatte das nach 1945 vorkommen sollen. Die Angst vor einem alleingelassenen Deutschland war ein wesentlicher Gründungsimpuls der Nato, sie war ein maßgebliches Motiv für die Gründung der EU. Man kann es als ein merkwürdiges Zeichen des Erfolgs der deutschen Westbindung werten, dass Trump diese Angst als überholt zu empfinden scheint. Wenn er sich darin mal nicht täuscht.

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