An einer Friedenauer Schule wird ein 14-Jähriger antisemitisch beleidigt und angegriffen. Nun hat er die Schule verlassen.
An der Friedenauer Gemeinschaftsschule hat ein jüdischer Junge nach einem Angriff gegen ihn die Schule verlassen. Die Familie spricht von Antisemitismus. Der 14-Jährige war vor ein paar Monaten von einem Mitschüler beleidigt worden, nachdem dieser erfahren hatte, dass der Junge jüdisch ist. Vor rund zwei Wochen wurde er dann von zwei anderen Mitschülern an einer Bushaltestelle angegriffen. Sie nahmen ihn in den Schwitzkasten, richteten eine Spielzeugpistole auf ihn und schossen Plastikteile auf ihn. Zuvor sollen sie „Hey, du Engländer“ gerufen haben.
An der Friedenauer Gemeinschaftsschule haben rund 75 Prozent der Schüler eine andere Herkunftssprache als Deutsch, viele kommen aus türkischen oder arabischen Familien. Dies trifft nach Angaben von Schulleiter Uwe Runkel auch auf die tatverdächtigen Jugendlichen zu. Der jüdische Junge war vor rund vier Monaten an die Schule gekommen, er wurde in England geboren und lebte dort eine zeitlang.
„Ich kann nicht mit dir befreundet sein“
Über den Fall berichtete zuerst die englischsprachige Wochenzeitung „The Jewish Chronicle“, an die sich die Familie des Jungen gewandt hat. Beim ersten Vorfall habe ein Mitschüler zu dem Jungen gesagt: „Du bist ja eigentlich ein cooler Typ, aber ich kann nicht mit dir befreundet sein. Juden sind alle Mörder.“ Schulleiter Runkel bestätigte den ersten Teil der Aussage. Dass der Satz „Juden sind alle Mörder“ gefallen sei, wisse er allerdings nicht. Die Schule habe nach diesem Vorfall sofort die Eltern informiert, und Lehrer und Sozialarbeiter hätten den Fall in der Klasse besprochen. Der Junge, der die Beleidigung ausgesprochen hatte, habe die Schule inzwischen verlassen, weil er weggezogen sei, sagte Runkel.
Anzeige bei der Polizei
Nach dem gewalttätigen Vorfall an der Bushaltestelle hat die Schule Anzeige bei der Polizei erstattet. Einer der Täter war offenbar kurz zuvor von einer anderen Schule verwiesen worden. Nun müssen wohl beide Täter die Schule verlassen.
Die Eltern des Opfers nahmen ihren Sohn direkt nach der Tat von der Schule. „Ich bedauere sehr, dass der Junge uns verlassen hat und natürlich auch, dass so etwas überhaupt passiert ist“, sagt Runkel. Laut dem Bericht in der „Jewish Chronicle“ sind die Eltern unzufrieden mit der Reaktion der Schule. Der Schulleiter habe zu spät reagiert. Das weist Runkel zurück: „Nach dem ersten Vorfall haben wir die Sache sofort aufgearbeitet. Jetzt haben wir leider nicht mehr die Möglichkeit, dem Jungen zu vermitteln, dass er hier sicher ist. Aber wir werden uns weiter mit dem Thema beschäftigen, und für die Täter wird es Konsequenzen haben.“
Schule will den Fall aufarbeiten
Die Schule, die zum Netzwerk „Schule ohne Rassismus“ gehört, führe regelmäßig in allen Klassen Workshops zu Mobbing und Diskriminierung durch. Inzwischen habe die Schule die Initiative Salaam-Shalom angesprochen, die sich mit Antisemitismus und Islamophobie beschäftigt und die Antidiskriminierungsstelle der Senatsverwaltung kontaktiert. „Wir haben auch ein Angebot vom Jüdischen Forum für Demokratie und gegen Antisemitismus erhalten, dass wir in die Überlegungen zum Umgang mit den Ereignissen einbeziehen werden“, sagte Runkel. Er hat nun einen offenen Brief geschrieben, der auf der Schul-Homepage veröffentlicht ist. „Wir möchten unser Bedauern und Entsetzen kundtun, dass ein Schüler an unserer Schule Antisemitismus erfahren musste“, heißt es dort.
Die Eltern des Jungen sind offenbar noch wegen einer anderen Sache unzufrieden. Die Großeltern des 14-Jährigen sind Holocaust-Überlebende und haben als Zeitzeugen in der Klasse des Jungen gesprochen. Die Familie wollte das Projekt auf andere Klassen ausweiten. „Ich stand dem positiv gegenüber, aber wollte erst ein Konzept mit dem Schulteam dazu erarbeiten“, sagte Runkel. „Das ging der Familie wohl zu langsam.“
Antisemitismus bei Jugendlichen
Bestimmte antisemitische Einstellungen sind bei arabisch- und türkischstämmigen Jugendlichen verbreiteter als bei Jugendlichen ohne Migrationshintergrund. Das betrifft besonders anti-israelische Vorurteile, wie eine Studie der Universität Bielefeld im Jahr 2010 ergeben hat. Bei deutschen Jugendlichen ist der Studie zufolge dagegen ein geschichtsrelativierender Antisemitismus häufiger.
Es gibt mehrere Initiativen, die sich mit diesem Problem befassen, zum Beispiel Salaam-Shalom, bei der jüdische und muslimische Aktivisten arbeiten. „Viele Jugendliche wissen gar nicht, was die Worte bedeuten, wenn sie andere als Juden oder auch als Engländer beschimpfen“, sagt Koordinator Armin Langer. „Deshalb ist es so wichtig, dass Begegnungen stattfinden.“ Die Initiative schickt für einen Dialog über Religionen immer ein jüdisches Mitglied und ein muslimisches in Schulen. „Es gibt auch viele Erfolgsgeschichten“, sagt Langer. An der Kreuzberger Freiligrath-Schule etwa betreuen jüdische und muslimische Schüler gemeinsam ein Projekt zum Nahostkonflikt.
Der Verein „Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus (KIgA)“ arbeitet schwerpunktmäßig mit muslimisch sozialisierten Jugendlichen. „Hätten wir von dem Fall vor vier Monaten erfahren, hätten wir rechtzeitig intervenieren können“, sagt Geschäftsführer Aycan Demirel. Dass ein jüdischer Schüler wegen antisemitischer Übergriffe die Schule wechseln muss, komme in Berlin nicht häufig vor, sagt er. Klar gebe es Antisemitismus, aber in dieser extremen Form seien das „Einzelfälle“. Nach Angaben der Bildungsverwaltung gibt es pro Jahr weniger als zehn Meldungen von Schulen über antisemitische Vorfälle