
Die deutsche Wirtschaft gerät immer mehr unter Druck, das Bruttoinlandsprodukt nimmt ab. Sollte dies so weiter gehen, könnte Deutschland eine Rezession drohen.
Quelle: WELT/ Achim Unser
Die deutsche Wirtschaft ist im zweiten Quartal geschrumpft. Vor allem die Industrie schwächelt. Es besteht das Risiko, dass die schlechte Stimmung die gesamte Volkswirtschaft erfasst und Deutschland in die Rezession rutscht.
Es ist die Meldung, die den Sommerurlaub vieler Parlamentarier nachhaltig trüben dürfte. Deutschland ist wieder auf dem Weg, zum kranken Mann Europas zu werden. Im zweiten Quartal 2019 schrumpfte die deutsche Wirtschaft gegenüber dem Vorquartal um 0,1 Prozent, wie das Statistische Bundesamt am Mittwoch in einer ersten Schätzung mitteilte. Damit stellt sich das kleine Wachstum vom Jahresbeginn als Scheinblüte heraus. Sollte sich der Abwärtstrend in den kommenden drei Monaten fortsetzen, würde das Land zum ersten Mal seit gut sechs Jahren in einer Rezession stecken.
Deutschland ist damit das ökonomische Schlusslicht in der Euro-Zone. In der gesamten Währungsgemeinschaft war das Bruttoinlandsprodukt (BIP) im zweiten Quartal leicht gewachsen. Selbst Italien, das unter den politischen Querelen einer zerstrittenen populistischen Regierung leidet, konnte für die Monate April bis Juni zumindest eine wirtschaftliche Stagnation vermelden.
Die französische Wirtschaft ist im zweiten Quartal um 0,2 Prozent gewachsen, die spanische sogar um 0,5 Prozent. Und auch die Niederlande, die wegen ihres hohen Exportanteils noch am ehesten mit Deutschland zu vergleichen sind, wachsen noch.
Vor allem die deutsche Industrie ist für das Schrumpfen verantwortlich. Im zweiten Quartal verringerte sich die Wirtschaftsleistung in diesem wichtigen Sektor um fast zwei Prozent. Das kostete insgesamt rund 0,6 Prozentpunkte Wirtschaftswachstum. Anders als noch im vierten Quartal des vergangenen Jahres konnten der private Konsum, der Bau und die öffentliche Hand die negativen Gravitationseffekte nicht aufhalten und damit die Konjunktur retten.
Exportnation Deutschland unter Druck
Zum Minus trug vor allem die außenwirtschaftliche Entwicklung bei. Die Exporte waren im Juni um mehr als acht Prozent eingebrochen. Hier schlagen sich der Handelskrieg zwischen den USA und China, die wirtschaftlichen Verwerfungen rund um den Brexit und generelle globale Abschwächung nieder.
Damit gerät das Geschäftsmodell der Exportnation Deutschland unter Druck. Es wird offenbar, dass der nach wie vor robuste Arbeitsmarkt und eine gesunde Binnenwirtschaft nicht mehr ausreichen, um den globalen Turbulenzen zu trotzen
Es besteht das Risiko, dass die schlechte Stimmung der Industrie die gesamte Volkswirtschaft erfasst. Am Dienstag waren die ZEW Konjunkturerwartungen für Deutschland auf den niedrigsten Stand seit 2011 gefallen. In diesem Index werden Investoren zur Lage und den Aussichten befragt. Aber auch in den Unternehmen ist die Stimmung schlecht, wie der Ifo-Index zuletzt zeigte. Zuletzt mussten zahlreiche Konzerne wie Henkel, Continental oder BASF ihre Geschäftsprognosen für das Gesamtjahr zum Teil deutlich reduzieren. Nach Berechnungen der Commerzbank sind für die größten 30 Börsenkonzerne im Deutschen Aktienindex Dax die Gewinnerwartungen innerhalb kurzer Zeit um zehn Prozent gefallen. Eine derartig drastische Revision habe es zuletzt in der Finanzkrise 2008 gegeben.
Sollte Deutschland wirklich in eine Rezession rutschen, wäre es eine Mischung aus globalen Belastungsfaktoren und selbst gemachten strukturellen Problemen. Eine der wichtigsten Stützen des Exports, die Autoindustrie, leidet unter einer schwachen Nachfrage aus China, aber auch unter dem Umbau zur Elektromobilität.
„Fakt ist: Die deutsche Wirtschaft kommt seit einem Jahr nur noch im Kriechgang vorwärts“, sagt Andreas Rees, Ökonom der UniCredit.
Die Gefahr einer Rezession beziffert das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) derzeit auf 43 Prozent. „Deutschlands Konjunktur steht auf der Kippe“, sagt der wissenschaftliche Direktor des IMK, Sebastian Dullien.
Die Analysten der Deutschen Bank sind noch pessimistischer. Sie rechnen nach den jüngsten Frühindikatoren damit, dass Deutschland im dritten Quartal in die Rezession rauscht. Vorsorglich haben sie ihre Wachstumsprognosen für das Gesamtjahr von 0,7 Prozent auf 0,3 Prozent mehr als halbiert.
ie wirtschaftliche Schwäche dürfte Betriebsamkeit in der Politik auslösen. Bereits am Dienstag hatte Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) ein Arbeitsmarktprogramm für den Fall angekündigt, dass Deutschland in die konjunkturelle Krise geraten sollte. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel sagte auf einer Veranstaltung in Stralsund, sich die wirtschaftliche Entwicklung im zweiten Quartal genau anschauen und gegebenenfalls „situationsgerecht“ reagieren zu wollen. „Bis jetzt sehe ich keine Notwendigkeit für ein Konjunkturpaket“, sagte Merkel. Diese Einschätzung könnte nach den Zahlen schnell Makulatur sein.