Zwei Drittel der Ausländer, die nach Deutschland kommen, haben keinen Pass. Die Regierung lässt sie dennoch ins Land. CDU-Innenexperte Bosbach fordert konsequente Zurückweisung. Das sei auch mit dem Recht vereinbar.
Der Terrorist Anis Amri, der Zug-Attentäter von Würzburg und der Mörder der Freiburger Studentin Maria L. hatten eines gemeinsam: Sie hatten alle keine Identitätsdokumente dabei, als sie nach Deutschland einreisten. Damals wie heute lässt die Bundesregierung die unerlaubten Einreisen nicht ahnden, sobald ein Ankömmling sagt, er suche hierzulande Schutz.
Das gilt auch für solche, die keinerlei brauchbare Papiere dabeihaben. Diese sicherheitspolitisch riskante Situation ist eher die Regel als die Ausnahme:
Etwa zwei von drei der monatlich etwa 13.000 Neuankömmlinge haben keinen Pass.
Wolfgang Bosbach fordert eine einschneidende Veränderung dieser Praxis. „Wir sollten niemanden einreisen lassen mit völlig ungeklärter Identität und Nationalität“, sagte der CDU-Innenpolitiker der WELT. „Die Zurückweisung an der Grenze bei ungeklärter Identität wäre ja keine völkerrechtlich unzulässige Rückschiebung in einen Verfolgerstaat, denn Deutschland ist von sicheren, verfolgungsfreien Staaten umgeben“, rechtfertigt Bosbach seine Position – die viele seiner Kollegen im Bundestag entsetzen dürfte: Nach Auffassung von Linkspartei, Grünen sowie der meisten SPD- und CDU-Politiker ist Deutschland unbegrenzt verpflichtet, jeden ankommenden Ausländer auch ohne Identitätspapiere aufzunehmen, sobald er vorgibt, Schutz zu suchen.
Bosbach fordert hingegen: „Wir müssen wissen, wer in unser Land kommt. Dafür brauchen wir kein neues Recht, sondern nur die konsequente Anwendung geltender Vorschriften.“ Auch die bereits eingeführte obligatorische Abnahme von Fingerabdrücken könne die Erfüllung der Passpflicht nicht ersetzen.
Denn dadurch könne man lediglich einen „Dateiabgleich vornehmen“ und damit eine „mögliche Personenidentität feststellen oder ausschließen, aber bei Identitätszweifeln nicht die zweifelsfrei richtige Identität ermitteln“, argumentiert der Sicherheitsfachmann aus dem Rheinland.
Damit spricht er einen wichtigen Punkt an: Denn durch die bisherigen Maßnahmen der Bundesregierung – das Datenaustauschverbesserungsgesetz, den Ankunftsnachweis sowie die Erfassung und Speicherung im zentralen Kerndatensystem – sind zwar Mehrfachidentitäten wie im Fall des tunesischen Islamisten Amri weitgehend ausgeschlossen. Unsicher bleibt aber weiterhin, ob die in Deutschland festgestellte Identität mit der Person des Asylantragstellers identisch ist.
Neue Identität für Trickser möglich
Wer keine Identitätspapiere hat, glaubhaft trickst und sich in der Anhörung nicht selbst widerspricht, kann unter Umständen eine neue Identität mit Foto, Namen, Herkunft und Lebensgeschichte eintragen lassen, die von seiner tatsächlichen Identität abweicht. Im schlimmsten Fall reisen Dschihadisten oder Schwerkriminelle ohne Pass ein und erhalten dann einen Schutzstatus unter Angabe einer falschen Lebensgeschichte.
Burkhard Lischka, der innenpolitische Sprecher der SPD, würde wie Bosbach gerne mehr unternehmen, um die Bevölkerung vor solchen Gefahren zu schützen: „Selbstverständlich müssen wir wissen, wer in unser Land kommt.“ Lischka will das Problem aber auf einem anderen Wege als der Christdemokrat lösen: „Ich habe bereits im vergangenen Jahr gefordert, dass Flüchtlinge bis zur eindeutigen Klärung ihrer Identität in speziellen Erstaufnahmeeinrichtungen in Deutschland bleiben sollten“, sagte Lischka.
Für solche mehrfach von Unionspolitikern ins Gespräch gebrachten Zentren findet sich aber vor der Bundestagswahl im September und wahrscheinlich auch danach keine Mehrheit im Bundestag.
Solche Transitzentren – verstanden als Einrichtungen, in denen Migranten so lange festgesetzt werden, bis ihre Identität geklärt ist – gelten den meisten Bundestagsabgeordneten als nicht zu rechtfertigende Einschränkung der Bewegungsfreiheit potenzieller Flüchtlinge.
Unter der Bezeichnung „Transitzentrum“ errichtet das Land Bayern derzeit drei Erstaufnahmeeinrichtungen, in denen Schutzsuchende mit geringer Bleibeperspektive das komplette Asylverfahren von der Einreise bis zur Ausreise durchlaufen sollen.
Weil Einrichtungen, wie sie Lischka und anderen vorschweben, noch in weiter Ferne sind, müssen die Behörden mit den verfügbaren Mitteln arbeiten. Lischka begrüßt daher die neu geschaffene Möglichkeit, künftig Handydaten der Ankömmlinge im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) auszulesen.
Kritik übt er an den jüngst von WELT und „Nürnberger Nachrichten“ berichteten Sicherheitslücken: Der Bundesinnenminister und das BAMF seien „nicht nur gehalten, sich um die Identitätsklärung neu ankommender Migranten zu kümmern, sondern auch um jene 5000 Flüchtlinge, die bereits seit Jahren in Deutschland sind und die noch immer nicht erkennungsdienstlich behandelt wurden“, sagte Lischka der WELT.
Wenn die Identität von Ausländern zweifelhaft ist, hat deren Einreise aber nicht nur sicherheitspolitische Folgen – sondern kann auch die Aufenthaltsbeendigung erschweren.
Die WELT AM SONNTAG hatte berichtet, dass die Abschiebungen trotz einiger Gesetzesverschärfungen auf Vorjahresniveau stagnieren und nach wie vor nur ein kleiner Teil der abgelehnten Asylbewerber zurückgebracht wird. Als einen der Gründe dafür hatte das Bundesinnenministerium „mangelnde Kooperation der Ausreisepflichtigen, insbesondere durch Identitätstäuschungen“ angeführt.