
Die Hindenburgstraße in Darmstadt.
© Claudia Kabel
Darmstädter Rentner schreiten zur Tat: Statt des ehemaligen Reichspräsidenten heißt ein Straße kurzfristig nach dem NSU-Opfer „Halit-Yozgat-Straße“.
Weil sie rund 30 Schilder der umstrittenen Hindenburgstraße in Darmstadt mit dem Namen des NSU-Opfers als „Halit-Yozgat-Straße“ überklebt haben, müssen sich drei Rentner demnächst vor Gericht verantworten. Amtsanmaßung und gemeinschädliche Sachbeschädigung lautet der Vorwurf der Staatsanwaltschaft. Die Stadt hatte nach der Aktion in der Nacht des 29. Januar 2018 sämtliche Schilder erneuern müssen, „da die Folie nicht rückstandslos hatte entfernt werden können“, sagte der städtische Pressesprecher Daniel Klose. Dies habe Kosten von 1297 Euro verursacht.
Noch hat das Amtsgericht keinen Verhandlungstermin bestimmt, wie Oberstaatsanwalt Robert Hartmann mitteilte. Das Angebot, das Verfahren gegen eine Zahlung von 200 Euro je Person einzustellen, hatte das Trio ausgeschlagen. Auch eine erkennungsdienstliche Behandlung, zu der sie das Polizeipräsidium Darmstadt vor wenigen Wochen einbestellt hatte, weil damit zu rechnen sei, dass sie auch in Zukunft in polizeiliche Ermittlungen einzubeziehen sein würden, verweigerten Renate Dreesen, Peter Friedl und Angelika Schröder: „Wir betrachten das als einen nicht hinzunehmenden Versuch der Kriminalisierung und haben dagegen Widerspruch eingelegt“, erklärten sie. Die ehemalige Lehrerin, der Sozialwissenschaftler und die frühere Darmstädter Anwältin gehören zum Bündnis „Darmstadt gegen rechts“, Friedl zur Deutschen Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen, und setzen sich seit Jahren unter anderem für die Umbenennung der Hindenburgstraße ein. Ein Prozess käme ihnen gerade recht: „Wir wollen die Verhandlung und wollen freigesprochen werden“, sagte Friedl der FR.
Der Ex-Reichspräsident gilt vielen als umstritten, weil er 1933 Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannte. In Darmstadt, wo seit über 20 Jahren darüber gestritten wird, wurde die zu den Hauptverkehrsachsen gehörende Straße nach dem „Held von Tannenberg“ 1915 benannt, wie Holger Köhn vom Büro für Erinnerungskultur in Babenhausen der FR sagte. Der Historiker hat im Auftrag der Stadt ein Gutachten erstellt und Recherchen nicht nur zu Paul von Hindenburg, sondern zu 110 Personen angestellt, die in der NS-Zeit lebten und nach denen in Darmstadt Straßen benannt sind. Über den Inhalt der 2018 beendeten Studie darf Köhn nichts sagen, außer dass von den untersuchten Personen „nur ein Bruchteil strittig“ sei.
Ein Fachbeirat beschäftigt sich seit 2015 mit dem Thema, hat auch Köhns Arbeit ausgewertet und Empfehlungen ausgesprochen. In der nächsten Woche wolle der Magistrat eine Vorlage erarbeiten, über die in der Stadtverordnetenversammlung am 16. Mai abgestimmt werden soll, so Klose. Über deren Inhalt kann derzeit nur spekuliert werden. Auf die Frage, warum sich die Stadt mit der Umbenennung so schwer tue, ließ Oberbürgermeister Jochen Partsch (Grüne) ausrichten: „Wir tun uns nicht schwer. Wir wollen es von der fachlichen Seite aufarbeiten und keine Schnellschüsse machen.“
2013 forderte die SPD die Umbenennung, die Linken versuchten zuletzt 2018, die Anbringung von Zusatzschildern „Kriegsherr, Reichspräsident und Wegbereiter Hitlers“ durchzusetzen. Alle Anträge scheiterten an der grün-schwarzen Mehrheit. Im Januar schlug die SPD vor, die Straße nach der in Darmstadt geborenen jüdischen Übersetzerin der Anne-Frank-Tagebücher, Mirjam Pressler, zu benennen.
2006 hatte die damals noch SPD-geführte Stadt beschlossen, die Straße in Marion-von-Dönhoff-Straße umzutaufen, wenn dies nicht von mehr als der Hälfte der Anwohner abgelehnt würde. Von den 154 Betroffenen, die sich äußerten, stimmten jedoch nur zwei dafür.
Streitfalle
In Bad Homburg scheiterte die Umbenennung 2016 an den Stimmen von CDU, FDP und AfD.
In Mainz heißt eine Prachtstraße nach Hindenburg. Als dort 2008 der Grundstein für eine Synagoge gelegt wurde, gab man ihr eine andere Adresse und beließ den Namen bei Hindenburg.
SPD und Grüne in Schleswig-Holstein wollen die Bahnstrecke „Hindenburgdamm“ nach Sylt umtaufen. Da Bahnbauwerke keinen offiziellen Namen erhalten, wird dies schwierig. (cka)