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Aug 22

Erste Minarett-Moschee in Gießen vom Oberhaupt der Ahmadiyya-Bewegung eröffnet

Gießen. Die Sicherheitsvorkehrungen am Montagabend vor und in der Kongresshalle sind groß. Kein Wunder: Hat sich doch das weltweite Oberhaupt der Ahmadiyya-Bewegung, „Seine Heiligkeit, der fünfte Kalif, Hadhrat Mirza Masroor Ahmad“, in der Universitätsstadt Gießen angekündigt.

Schließlich ist die Eröffnung der ersten Minarett-Moschee in Gießen ein besonderes Ereignis. Und eines muss man „Eurer Heiligkeit“ lassen: Pünktlich ist er.

Unauffällig entsteigt der Mann mit dem weißen Turban einem dunklen Mercedes und verschwindet in einem kleinen Nebenraum in der Kongresshalle. Ein Tross an muslimischen Leuten folgt ihm. Zehn Minuten später betritt er den Saal. Ein Raunen geht durch die Menge. „Für uns ist das auch ein Traum, seine Heiligkeit mal persönlich kennenzulernen“, flüstert ehrfürchtig ein junger Mann. Er ist Mitglied der Gießener Ahmadiyya-Bewegung.

Ganz still wird es im Saal, als ein junger Mann den Vers 178 aus dem Heiligen Koran rezitiert. Anschließend stellt Abdullah Uwe Wagishauser die Ahmadiyya Muslim Jamaat (AMJ) vor. Er ist Amir und Bundesvorsitzender der muslimischen Bewegung. „Zu einem guten Ende gehört auch ein guter Beginn“, sagt er und hofft, dass die Moschee in der Marburger Straße eine Stätte der Begegnung für alle wird. Nicht nur für die Gemeindemitglieder, sondern auch für die Gießener. Das „Haus des von allen Angeflehten“, so lautet die deutsche Übersetzung von „Bait-us-Samad“, der Name der Moschee, soll eine Bereicherung für die Universitätsstadt sein und zum friedlichen Miteinander beitragen.

Martin Rößler, Vizepräsident des Regierungspräsidiums Gießen, überbrachte von Ministerpräsident Volker Bouffier Glückwünsche zur Eröffnung der Moschee.

Er betonte dabei noch einmal die moderne und freiheitsliebende Ausrichtung der Ahmadiyya-Gemeinde. „Sie achten unsere Grundrechte und stehen für Meinungs- und Religionsfreiheit.“ Aus diesem Grund ist sie bisher auch als einzige muslimische Organisation in Deutschland als Körperschaft des öffentlichen Rechts (KdöR) anerkannt, wie Lisa Häger, Sprecherin des Bundesinnenministeriums, gegenüber dem Anzeiger bestätigt. Die Erstverleihung der Körperschaftsrechte an die AMJ erfolgte übrigens 2013 in Hessen. Zudem ist sie Mitglied der Deutschen Islam Konferenz in der laufenden Legislaturperiode. Der Landtagsabgeordnete der SPD, Gerhard Merz, sieht den Bau der Moschee auch als ein besonderes Zeichen, das zeige, dass Deutschland ein Land unterschiedlicher Religionen sei und auch bleibe. Das Anliegen der Ahmadiyya-Gemeinde entspricht der „gelebten Tradition unserer Stadt Gießen, das geprägt ist vom respektvollen Umgang miteinander“, bekräftigt Oberbürgermeisterin Dietlind Grabe-Bolz (SPD). Dann spricht der Kalif. Gebannt lauschen alle den Worten „Eurer Heiligkeit“. Seine Dankesworte richten sich an alle Gießener, die beim Bau der Moschee unterstützend zur Seite standen. Auch die Rechte der Nachbarn seien ihm wichtig, und er entschuldigt sich für den während der Bauzeit entstandenen Lärm. Das Konzept der islamischen Gemeinde sei Liebe, Brüderlichkeit und Harmonie, statt Krieg und Unfrieden. Das Motto: Liebe für alle, Hass für keinen. Integration sei wichtig. Die Gleichwertschätzung der Frau selbstverständlich. Auch wenn die muslimischen Frauen die Veranstaltung im Nebenraum über Bildschirm und Lautsprecher verfolgen. Der Islam habe eben auch verschiedene Gebote, nach denen gelebt wird. Die Trennung bei Gebeten von Mann und Frau im Islam sollte nicht immer im Mittelpunkt stehen. Kurz zuvor habe er gemeinsam mit der Oberbürgermeisterin eine Linde gesegnet, das sei ein Zeichen für Integration.

HINTERGRUND

Mirza Ghulam Ahmad, der sich zum religiösen Erneuerer (Mudschaddid) erklärt hatte, gründete 1889 in Indien die Bewegung Ahmadiyya, die sich als sunnitische Ausrichtung des Islams, verbunden mit den Hanafiten (eine von vier Rechtslehren), versteht. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts spaltete sich die Gemeinschaft in zwei Gruppen. Heute gehören fast alle der Ahmadiyya Muslim Jamaat (AMJ) an. Vertreten ist sie in 209 Ländern. Die genaue Mitgliederzahl ist nicht bekannt, wird aber auf eine zweistellige Millionenzahl geschätzt. In Deutschland gibt es sie seit etwa 100 Jahren, wobei die Organisation in Hessen am weitesten verbreitet ist. Deutschlandweit zählt sie 45 000 aktive Mitglieder, hat 52 Moscheen, über 100 Gebetshäuser und ist in 255 lokalen Gemeinden vertreten (Quelle dieser Zahlen: Ahmadiyya Muslim Jamaat). Die Organisation selbst bezeichnet sich als liberal und offen, aber wertekonservativ. Ihre Ausrichtung sieht sie weder ethnisch noch national geprägt, sondern rein geistig. Als islamische Reformgemeinde lebe sie die Vereinbarkeit des Glaubens mit dem Rechtsstaat. AMJ finanziert sich ausschließlich aus privaten Spendengeldern. Frauen werden als gleichwertig angesehen. Die Imame predigen ausschließlich in deutscher Sprache. Oberstes Sprachrohr der muslimischen Gemeinschaft ist der Kalif. In Hessen gibt die Ahmadiyya-Gemeinde an öffentlichen Schulen islamischen Religionsunterricht. Aktuell zählt die AMJ in Gießen etwa 220 Mitglieder. (ija)

Quelle: Giessener Anzeiger

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