Ein Eritreer hatte eine Kollegin seinen Freunden zur Vergewaltigung überlassen. Das sei nicht strafbar, befand das Baselbieter Strafgericht.
Die Schreie der jungen Afrikanerin drangen weit über den Margarethenpark hinaus, während ihr zwei Eritreer oben im Wäldchen die Bluse und die Hosen vom Leib rissen und sie zu vergewaltigen versuchten. Der dritte Eritreer im Bunde, Tayé (Name geändert), hatte sich in diesem Moment aus dem Staub gemacht. Er wollte, wie er gestern von dem Strafgericht in Muttenz sagte, nichts damit zu tun haben, und sei weggerannt.
Ausgerechnet er, der die Afrikanerin telefonisch auf dem Weg von Frick zum Bahnhof Basel SBB «aufgeboten» hatte, und seine beiden Freunde dazu angestachelt haben soll, mit der Frau Sex zu haben, ansonsten sie keine richtigen Männer seien.
Tayé war jedenfalls nicht mehr vor Ort, als seine Freunde im Park über die Frau herfielen. Dass die Vergewaltigung nicht vollendet werden konnte, war nur einem beherzten Schweizer zu verdanken, der die Schreie vernahm und herbeieilte, worauf die beiden Männer vom Opfer abliessen und flüchteten. Den Untersuchungsbeamten gab Tayé in der Einvernahme später an, er habe diesen «weissen Mann» gesehen und gewusst, dass dieser der Frau helfen würde.
Nach England geflohen
Einer der eritreischen Tatbeteiligten ist seit diesem Abend im Oktober 2017 auf der Flucht, der zweite rechtskräftig verurteilt – er kassierte 16 Monate. Gestern ging es am Strafgericht also darum, die Rolle Tayés, auszuleuchten. Die Staatsanwältin Silvia Schweizer wirft ihm vor, dass er «mit seinem Verhalten nicht nur in massgeblicher Weise bei der Entschlussfassung und der Planung der mehrfachen Vergewaltigung mitwirkte. Er übte auch kraft seiner Beziehung zu den Ausführenden weiterhin einen tragenden Einfluss aus», wie es in ihrer Anklageschrift heisst. Der Täter habe mitbekommen, wie seine Freunde der Frau an die Wäsche gingen, und dies nicht nur gebilligt, sondern sie noch weiter dazu ermuntert. Zweieinhalb Jahre Gefängnis und einen Landesverweis mit Eintrag ins Schengen-Informations-System fordert Schweizer.
Nach diesem Ereignis hat sich Tayé nach England abgesetzt, obschon er eine Beschwerde gegen sein abgelehntes Asylgesuch eingereicht hatte und auf den Entscheid der Behörde hätte warten müssen. Das war für die Staatsanwältin ein weiteres Indiz dafür, dass sich Tayé der Mittäterschaft schuldig gemacht hat: «Er wusste, dass er wegen des Vorfalls im Margarethenpark in Schwierigkeiten geraten würde», argumentierte sie. Die Engländer aber schickten Tayé wieder in die Schweiz zurück, wo er am Flughafen in Kloten im vergangenen Sommer festgenommen wurde und direkt ins Gefängnis nach Muttenz wanderte.
Vor Gericht erzählte Tayé den Richtern eine andere Version. Er sei von den Freunden mit der Frage «Ist das deine Freundin?» bedroht worden. Er habe gewusst, was das für ihn bedeute und dass er gegen den Willen seiner beiden Kollegen nichts machen könne. Darum sei er abgehauen. Unter anderem auch weil er gesehen habe, wie ein «weisser Mann» auf den Tatort zugesteuert ist und der Afrikanerin helfen wollte. Schreie habe er nicht vernommen.
Lauter Widersprüche vor Gericht
Dann wollten es die Richter gestern genau wissen. «Warum wussten Sie, dass der Zeuge helfen sollte? Wo standen Sie genau? Warum sollte der Zeuge helfen, wenn Sie vorher sagten, es sei ja gar nichts passiert?» Tayé verstrickte sich zunehmend in Widersprüche.
Aber trotz dieser Widersprüche – der Lügen, wie es Staatsanwältin nach dem Urteilsspruch konsterniert kommentierte – kam es zum Freispruch. Zu viel sei umstritten, die Version der Staatsanwaltschaft sei «nicht zweifelsfrei belegt», erklärte Gerichtspräsident Beat Schmidli. Deshalb habe man «In dubio pro reo» – im Zweifel für den Angeklagten entschieden.
Zum Beispiel habe die Staatsanwaltschaft nicht nachweisen können, dass ein gemeinsamer Tatentschluss zur Vergewaltigung gefasst worden sei. Vermutlich sei der Plan ganz spontan von seinen Freunden ausgegangen. Dass sich Tayé entfernt habe, mutmasslich sogar die Schreie gehört und doch nicht geholfen habe, halte das Gericht für moralisch verwerflich, aber strafrechtlich nicht relevant.
Auch ob es die Aufforderung Tayés – «Habt Sex, sonst seid ihr keine richtigen Männer!» – wirklich gegeben habe, sei umstritten. Die Staatsanwaltschaft stütze sich hier einzig auf die Aussage des bereits verurteilten Täters. Dieser habe ein Interesse daran gehabt, seine Tat zu relativieren, indem er erklärte, er sei zur Vergewaltigung aufgefordert worden, argumentierte Schmidli. Diese Auslegung des Gerichts wiederum konnte Staatsanwältin Silvia Schweizer nicht nachvollziehen. Sie legte umgehend Berufung ein.
An sich wäre Tayé ab gestern Abend ein freier Mann gewesen und hätte nach dem Urteil eine Genugtuung für 199 Tage Haft erhalten – insgesamt 19’900 Franken. Weil Schweizer das Urteil angefochten hat, sitzt der Eritreer weiter in Haft, bis die nächste Instanz über die Haftverlängerung entschieden hat. Dieser Entscheid muss innerhalb von fünf Tagen erfolgen.