Weil sie Unterhalt forderte, fesselte Nurettin B. seine Ex-Frau an seinen Wagen und schleifte sie durch Hameln. Das Opfer erzählt aus einer „höllischen“ Ehe – und einem verstörenden Frauenbild des Täters.
Es ist nicht die Frage nach dem Ob, auch nicht die nach dem Weshalb, die in diesem Prozess im Mittelpunkt steht. Dass er versucht hat, seine Ex-Frau zu töten, weil sie seinen Lohn pfänden lassen wollte, gibt der Deutschkurde Nurettin B. gleich zu Beginn zu. Es ist das Wie, das Rätsel aufgibt. Denn die Tat erinnert an eine mittelalterliche Hinrichtung.
An Einzelheiten könne er sich nicht erinnern, lässt der 39-Jährige seinen Verteidiger verlesen. Nur daran, dass er einen solchen Hass verspürt habe wie noch nie in seinem Leben. „Es war wie eine andauernde Explosion.“
Die Einzelheiten rekonstruiert die Staatsanwältin: Am 20. November 2016 fährt Nurettin B. gegen 18 Uhr bei Kader K. in Hameln vor, im Kofferraum ein Messer, eine Axt und ein Seil; auf der Rückbank der gemeinsame, zwei Jahre alte Sohn, der über das Wochenende bei ihm gewesen war. Auf der Straße gerät das ehemalige Paar in Streit. B. beginnt, auf seine Ex-Frau einzuschlagen. Dann holt er das Messer und sticht auf sie ein. Die 12,4 Zentimeter lange Klinge dringt in ihre Brust ein, öffnet den Herzbeutel, touchiert den Herzmuskel. Ein zweiter Stich öffnet die linke Bauchhöhle. Wieder geht B. zum Kofferraum, holt die Axt. Mit der stumpfen Seite schlägt er auf Kopf und Oberkörper ein, der Schädel bricht.
Der gemeinsame Sohn saß auf der Rückbank
Dann holt er das Seil. Mit dem einen Ende knüpft er einen Galgenknoten um ihren Hals, das andere bindet er an der Anhängerkupplung seines schwarzen VW Passat fest. B. gibt Vollgas. Mit rund 80 Stundenkilometern rast er durch die Straßen. Als er nach 208 Metern abbiegt, löst sich das Seil. Kader K. schleudert gegen die Bordsteinkante. B. rast weiter zur nächsten Wache, um sich zu stellen. Der gemeinsame Sohn sitzt noch immer auf der Rückbank.
„Versuchter Mord“, so lautet die Anklage. Nurettin B. habe die Tat geplant, sagt Staatsanwältin Ann-Kristin Fröhlich. Er habe seine Ex-Frau quälen wollen.
Nurretin B., mittelgroß, lichtes Haar, sitzt aufrecht auf der Anklagebank. Er wirkt ruhig und gefasst. Nur einmal, als der Verteidiger sein Geständnis vorliest, schaut er zu Boden, schluckt. Als seine Ex-Frau in den Zeugenstand tritt, lässt er seinen Blick unbewegt auf dem Richter ruhen.
Kader K. trägt ein dunkelblaues Kopftuch und lange Ärmel. Sie sollen die Narben, mit denen ihr Körper übersät ist, verdecken. Die Erinnerung an ihr Martyrium reicht nur bis zum ersten Messerstich. Vor Gericht soll die 28-Jährige ein Bild von der Beziehung zu B. zeichnen, den sie nur noch „den Täter“ nennt. Die Konturen zeigen eine kurze Beziehung und eine lange Phase von Streit und Gewalt. Und sie deuten an, dass der Exzess keineswegs aus heiterem Himmel kam.
Kader K. und Nurettin B. sind in kurdischen Gebieten in der Türkei geboren. 2013 lernten sie sich auf einer Kurdendemonstration in Straßburg kennen. Sie war Aktivistin, er habe nur mitgemacht, um sich nach der Trennung von seiner ersten Frau abzulenken, erzählt sie. Nach nur wenigen Wochen sei er in das Haus ihrer Mutter in Hameln gekommen, um um ihre Hand anzuhalten. Geweint wie ein kleines Kind habe er, erzählt K. Und dass sie sich auf ihn eingelassen habe, weil sie eine Familie gründen wollte.
Kurz nach der Hochzeit begann schon „der Horror“
Sie heirateten nach islamischer Tradition. Die Familien vereinbarten, wie bei kurdischen Hochzeiten üblich, eine „Morgengabe“ für die Braut: goldene Armbänder, Ringe und Ketten im Wert von 20.400 Euro. Kurz nach der Feier, sagt Kader K., habe „der Horror“ begonnen. B. habe ihr den Kontakt zu Freunden und Familie untersagt, sie habe das Haus nur für Einkäufe und Arztbesuche verlassen dürfen, auch kein Handy gehabt. Ständig habe es Streit gegeben, etwa weil sie rauchte. „Frauen, die rauchen, sind Huren für ihn.“ – „Hat er ein Problem mit Frauen?“, fragt der Vorsitzende Richter Wolfgang Rosenbusch. „Frauen sind Sklaven, sie müssen ihren Mund halten“, antwortet Kader K.
Nurettin B. habe sie beschimpft und verprügelt. Knapp zehn Monate nach der Heirat verließ sie ihn und zog mit dem Sohn zurück zu ihrer Mutter. Doch mit der Trennung wurden Streit und Gewalt nur noch intensiver. Sie wollte die „Morgengabe“ mitnehmen, die er ihr angeblich vorenthielt. Ein Gericht verpflichtete den Polsterer, monatlich 768 Euro Unterhalt zu zahlen. Alle 14 Tage durfte B. den Sohn für das Wochenende zu sich holen. Bei jeder Übergabe gab es Streit.
B. ist nicht vorbestraft, trotz der sieben Ermittlungsverfahren, die gegen ihn geführt wurden, unter anderem wegen Körperverletzung. Kader K. hatte ihn mehrmals angezeigt. Die erste Anzeige zog sie zurück, weitere Verfahren versandeten. Vor Gericht erzählt sie, dass sie mit ihrem Ex eine Vereinbarung habe treffen wollen: Wenn er das Sorgerecht für den Sohn abgebe, verzichte sie auf Gold und Unterhalt. So, hoffte sie, bekäme sie endlich Ruhe vor ihm.
Ihre Familien hätten bereits den Deal vereinbart. Doch dann habe ihre Anwältin ihr erklärt, dass es in Deutschland kein solches Gesetz gebe, nach dem einer auf sein Kind verzichte. Ihr Ex habe weiterhin das Recht, seinen Sohn zu sehen. Und wenn sie auf den Unterhalt verzichte, bekäme sie als arbeitslose Frau Probleme mit dem Arbeitsamt. Also habe sie weitergekämpft. „Das Jugendamt hilft ja nicht, und meine Anwältin konnte nichts machen.“
Zwei Tage vor der Tat drohte er ihr wieder
Am 18. November dann, zwei Tage vor der Tat, habe Nurettin B. ihr dann wieder einmal gedroht: „Sollten die Briefe wegen der Unterhaltspfändung nicht aufhören, dann wird einer von uns nicht mehr leben.“
Er habe das damals nicht ernst gemeint, lässt B. vor Gericht verlesen. Und dass er eigentlich seinem eigenen Leben ein Ende habe setzen wollen. Wenige Tage zuvor habe er auf der Arbeit unterschreiben müssen, dass sein Lohn für die Unterhaltszahlung gepfändet wird. Da habe er sich eigentlich in sein Auto setzen und gegen einen Baum fahren wollen. „Es kam dann völlig anders.“
Das Geständnis wirkt kalkuliert. Bei versuchtem Mord sieht das Strafgesetzbuch drei bis maximal 15 Jahre Haftstrafe vor. Sein erfahrener Verteidiger Matthias Waldraff wird ihn wohl beraten haben, was er sagen muss, um ein milderes Urteil zu bekommen. Die Tat sei keinesfalls geplant gewesen, erklärt B., vielmehr habe er das Messer zur Selbstverteidigung mit sich geführt und Seil und Axt für Gartenarbeiten zufällig im Kofferraum liegen gehabt. Seile zu knoten habe er in der Ausbildung zum Polsterer gelernt.
Die erste Zeugin, eine Nachbarin, schildert, wie sie an jenem Abend die Schreie von Kader K. hörte und ans Fenster rannte. Sie habe gesehen, wie er einen Gegenstand aus dem Kofferraum holte und damit auf die Frau einschlug. „Mit einer Wucht…“ Die Zeugin stockt für einen Moment. Sie habe ihn dann angeschrien, erzählt sie: „Wenn du nicht sofort aufhörst, rufe ich die Polizei.“
Doch Nurettin B. habe nur kurz zu ihr rübergesehen und mit gleichgültiger Stimme geantwortet: „Mach doch.“ Dann habe er weiter auf die wimmernde Kader K. eingeprügelt. „Er war wie besessen von der Frau.“