Konservative in der SPD setzen auf Grenzen. Linke hingegen wollen die Beschränkung des Familiennachzugs aufheben. Welchen Kurs werden die Sozialdemokraten unter Schulz jetzt einschlagen?
Alle in der SPD können sich derzeit darauf einigen, wie gut der Martin-Schulz-Effekt tut. Euphorie macht sich breit, wo Mundwinkel jahrelang am Fußboden kratzten. Das eint die Sozialdemokraten. Noch. Doch auch der künftige Parteichef und Kanzlerkandidat wird es nicht schaffen, alle Flügel der SPD glücklich zu machen. Schulz wird schon bald seinen inhaltlichen Kurs abstecken. Und weil die Bevölkerung vor allem die Migrationskrise umtreibt, schlagen Konservative wie auch Linke in der SPD jetzt munter erste Pflöcke ein, an denen sich Schulz orientieren soll.
Auf Anfrage der „Welt“ erklärten rund zwei Dutzend SPD-Parlamentarier, dass es Syrern künftig wieder erlaubt sein solle, ihre Angehörigen nach Deutschland zu holen. Die angefragten Abgeordneten hatten bereits im vergangenen Jahr gegen das Asylpaket II gestimmt. Jetzt fordern sie die große Koalition auf, schnell eine entsprechende Korrektur vorzunehmen, damit schätzungsweise 150.000 Angehörige kommen können. Hilde Mattheis, Vorsitzende des Forums Demokratische Linke, sagt, sie könne es „nicht verstehen, wie wir es zulassen können, dass Kinder ohne Eltern allein in einem Kriegsland zurückbleiben müssen“.
Mattheis fordert: „Wir müssen diesen Zustand so schnell wie möglich verbessern und hier als Gesetzgeber dringend nachbessern“, um so den Nachzug für syrische Flüchtlinge wieder zu erleichtern. Der stellvertretende Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses, Karamba Diaby, erklärt: „Insbesondere für aus Syrien Geflüchtete bedarf es einer raschen Familienzusammenführung, um eine schnelle Integration in unsere Gesellschaft zu ermöglichen.“ Der Koalitionspartner solle sich „angesichts der jüngsten Entwicklungen gesprächsbereit zeigen“.
Zu den Kritikern gehören auch Innenexperten wie Uli Grötsch und Lars Castellucci. Grötsch sagt, das Versprechen des Bundesinnenministers Thomas de Maizière (CDU), wonach nur wenige Personen betroffen seien, „habe sich absolut nicht bewahrheitet“. Castellucci, der seine Position im November vergangenen Jahres während einer Bundestagsrede deutlich gemacht hatte, sagt, er sei „selbstverständlich“ dafür, den Familiennachzug auch für „subsidiär Geflüchtete wieder zu öffnen“. Vor einem Jahr hieß es bei der Verabschiedung des Asylpakets II, dass von der Einschränkung pro Jahr nur rund 1700 Personen betroffen seien. Unter anderem eine veränderte Entscheidungspraxis des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) sorgte aber dafür, dass im vergangenen Jahr insgesamt 121.562 Syrer den sogenannten subsidiären Schutz erhielten. Sie dürfen somit bis zum Jahr 2018 keine Familienmitglieder nach Deutschland holen.
Der linke Flügel macht damit klar, was für ihn in der Flüchtlingspolitik wichtig ist. Dagegen hatte der pragmatische, intern „rechts“ verortete Fraktionsvorsitzende Thomas Oppermann am Wochenenden in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ über Grenzen der Zuwanderung und seinen Plan für ein Einwanderungsgesetz für Fachkräfte geschrieben. SPD-Mitglieder nannten das Ziel, Migranten irgendwann nach Libyen zurückzuschicken, dagegen „zynisch und menschenverachtend“.
„Nicht mehr als eine Million Flüchtlinge aufnehmen“
Dabei folgt Oppermanns Beitrag nur jenem Kurs, den auch der bisherige Parteichef Sigmar Gabriel verordnet hatte. Im Jahr 2013 noch war die SPD als Bürgerrechtspartei und mit offenen Armen für sowohl Wirtschafts- als auch Kriegsflüchtlinge in die große Koalition gestartet. Doch dann häufte sich die Zahl der islamistischen Anschläge. Und 2015 wurde endgültig Gabriels Warnung wahr, dass die hohe Flüchtlingszahl das Land an die Belastungsgrenze bringe. Gabriel reagierte, indem er offene Flanken schloss. Der Chef befahl seiner Partei die Zustimmung zur Vorratsdatenspeicherung. Für den Fall eines Anschlags hierzulande verhinderte Gabriel mit neuer Antiterrorhärte, dass die Union die Schuld bei den Sozialdemokraten suchen konnte. Beim Thema Migration wiederum distanzierte er sich früh vom Kanzlerinnenkurs: „Wir können nicht dauerhaft mehr als eine Million Flüchtlinge aufnehmen“, schrieb Gabriel bereits im Oktober 2015.
Oppermann und viele andere Konservative in der SPD freuen sich über die eingeschlagene Richtung. Nur: Inhaltlich hat das nichts mit einem möglichen künftigen Rot-rot-grün-Bündnis zu tun. Für ein solches linkes Bündnis spricht dagegen die Forderung der Parteilinken zum Familiennachzug – was nichts anderes bedeutet als die offene Konfrontation mit dem Koalitionspartner.
Linke und Grüne fordern die kritischen SPD-Abgeordneten sogar auf, für entsprechende Vorschläge der Opposition zu stimmen. Die innenpolitische Sprecherin der Linke-Fraktion, Ulla Jelpke, erklärt, die Union habe die SPD über das Ausmaß der neuen Regel „getäuscht“. Die Sozialdemokraten müssten sich daher „nicht mehr an entsprechende Koalitionsvereinbarungen gebunden fühlen“.
Auch die flüchtlingspolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion, Luise Amtsberg, begrüßt es, „dass in Teilen der SPD inzwischen die Erkenntnis gewachsen ist, dass die Zustimmung zu den Einschränkungen beim Familiennachzug für subsidiär Geschützte falsch war“. Amtsberg fordert die SPD-Abgeordneten auf, „sich bei diesem Thema gegen die Hardliner der Union durchzusetzen und unserem Gesetzentwurf zuzustimmen“, der die Wartefrist für subsidiär Schutzbedürftige aufheben soll. „Die zusätzliche Wartezeit von zwei Jahren wird die Familienangehörigen in die Schlepperboote drängen und hält Flüchtlinge, die ein Aufenthaltsrecht in Deutschland haben, innerlich und äußerlich davon ab, hier wirklich anzukommen“, sagt Amtsberg.
Die Union dagegen will an der aktuellen Regelung festhalten. Der stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion, Stephan Harbarth (CDU), sagt: „Mit uns wird es keine Rückkehr zum Status quo ante geben. Der Familiennachzug für subsidiär Schutzberechtigte bleibt bis zum März 2018 ausgesetzt – so, wie wir es im Deutschen Bundestag gemeinsam mit der SPD beschlossen haben.“ Darüber hinaus setze sich die Union dafür ein, dass der Nachzug auch nach 2018 „eng begrenzt“ und „strikt an die Integrationsleistung“ geknüpft werde. Harbarth: „Der Nachzug soll nur dann möglich sein, wenn der Schutzberechtigte seinen Lebensunterhalt für sich und seine Familie aus eigener Kraft zu sichern vermag und über genügenden Wohnraum verfügt.“