Die politischen Parteien überbieten sich in Wahlversprechen, wie sie die öffentlichen Rekordüberschüsse unter ihre Klientel bringen können. Dabei lebt der Staat über seine Verhältnisse. Er baut nicht Schulden ab, sondern verbrennt das öffentliche Vermögen.
Deutschland braucht einen rechtlich bindenden Investitionsschutz des Volksvermögens, der diesen Trend stoppt und die öffentliche Infrastruktur und Bildung sichert. Viele sehen die „schwarze Null“ und die hohen Überschüsse als Erfolg einer soliden Finanzpolitik. Der schöne Schein trügt. Der Nettowert des Staatsvermögens, inklusive Straßen, Brücken, Land und anderer Infrastruktur, ist seit dem Jahr 2000 um fast 500 Milliarden Euro gesunken
Der Verkauf von Vermögenswerten kann nicht die Lösung der Verschuldungsprobleme sein. Irgendwann sind die Vermögenswerte aufgebraucht. Das Gleiche gilt für den Staat: Das verloren gegangene staatliche Vermögen steht zukünftigen Generationen nicht mehr zur Verfügung. Das schwächt die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit und gefährdet unseren Wohlstand.
- Zur Person
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Der Ökonom Marcel Fratzscher leitet seit Februar 2013 das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) und ist Professor für Makroökonomie an der Humboldt-Universität Berlin und berät außerdem Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel. Zuvor war Fratzscher seit 2008 fünf Jahre lang Leiter der Abteilung für Internationale wirtschaftspolitische Analysen bei der Europäischen Zentralbank (EZB) in Frankfurt.
Der Text erschien bereits im Wochenbericht des DIW.
Die Schuldenbremse sorgt dafür, dass die öffentlichen Investitionen sinken
Einer der Gründe für diesen Raubbau am Volksvermögen ist, dass durch die Schuldenbremse Bund, Länder und Kommunen ihre Ausgaben reduzieren mussten und sie es vor allem durch eine Reduzierung der öffentlichen Investitionen tun. Deutschland ist eines der Industrieländer mit den niedrigsten öffentlichen Investitionsquoten ist. Es ist verständlich, dass der Staat in wirtschaftlich schlechten Zeiten soziale Ausgaben erhöht, was kurzfristig zulasten öffentlicher Investitionen geht. In guten Zeiten fehlt es dem deutschen Staat jedoch an Disziplin, um den Investitionsrückstand zu kompensieren.
Die Große Koalition hat sich zum Beispiel eine Rentenreform gegönnt, die jedes Jahr fast zehn Milliarden Euro kostet, aber die öffentlichen Investitionen viel zu wenig erhöht. Die öffentliche Infrastruktur ist in einer katastrophalen Lage. Besonders hart sind Kommunen betroffen, die einen Investitionsstau von fast 140 Milliarden Euro haben. Allein 35 Milliarden Euro fehlen für die Sanierung von Schulgebäuden.
Eine Investitionsregel könnte die Lösung sein
Wie könnte eine Lösung aussehen? Der deutsche Staat sollte sich, zusätzlich zur Schuldenbremse, eine haushaltsrechtliche Verpflichtung zum Schutz öffentlicher Investitionen auferlegen. Diese Investitionsregel sollte drei Elemente enthalten. Zum Ersten sollte sie eine Regierung dazu verpflichten, positive Nettoinvestitionen zu tätigen. Die öffentlichen Investitionen müssten den Wertverlust kumuliert über eine Legislaturperiode überschreiten. Dabei sollten auch Ausgaben für Bildung und Innovation zu den öffentlichen Investitionen hinzugezählt werden.
Ein solcher Investitionsschutz gibt einer Regierung inhaltliche Flexibilität, um Prioritäten bei Investitionen zu setzen. Gleichzeitig bietet er zeitliche Flexibilität, um in schwierigen Zeiten temporär Schwerpunkte bei den Sozialausgaben setzen zu können, was in besseren Zeiten durch eine Stärkung der öffentlichen Investitionen kompensiert werden muss.
Zudem müsste jede Regierung dadurch Rechenschaft für das eigene Handeln noch in der laufenden Legislaturperiode ablegen. Dies erfordert als zweites Element mehr Transparenz über den Wert öffentlicher Vermögen, beispielsweise durch die Einführung der sogenannten Doppik, wogegen sich noch viele Gebietskörperschaften wehren.
Als drittes Element sollten Regierungen in guten Zeiten Überschüsse in eine Investitionsrücklage – analog zur „Flüchtlingsrücklage“ – überführen, damit Investitionen in schwierigen Zeiten nicht zu stark leiden. Diese könnten dann gezielt zur Finanzierung längerfristiger Investitionsprojekte eingesetzt werden.
Der Staat lebt seit Jahren von der Substanz. Öffentliche Investitionen sind zu niedrig, und das Staatsvermögen schrumpft. Die Politik kann diesen Trend stoppen, indem sie den Investitionsschutz einführt. Die gegenwärtige Finanzpolitik gefährdet Jobs, Wachstum und Wohlstand.