Das Web-Portal Golem wollte es ganz genau wissen und fragte die Bundesregierung, ob diese einen strafbaren Fall von Fake News benennen könne. Antwort der Regierung: Nein. Trotzdem gibt es nun ein Gesetz gegen Fake News. Ist es Wahn, Wahlkampf – oder beides?
Allgemein versteht man unter einer Wahnvorstellung eine Überzeugung, an der ein Patient trotz objektiv gegenteiliger und nachprüfbarer Sachlage festhält. Es ist auch allgemein bekannt, dass Politiker, wenn es auf die Wiederwahl zugeht, gerne mal überdrehen und ungeahnte populistische Fähigkeiten entwickeln. Die Rede ist vom sogenannten „Netzwerkdurchsetzungsgesetz“, dessen bloßer Name schon nach einem martialischen Kampfbegriff klingt.
Den Narrativ vor der Realität schützen
Doch auch in überhitzten Zeiten wie diesen gibt es offenbar noch Menschen mit gesundem Menschenverstand. Die Macher des Webportals Golem zählen ganz offensichtlich dazu. Golem, eine Tochtergesellschaft der Computec Media Group, ist vor allem der IT-Gemeinde ein Begriff. Das 1997 online gegangene Magazin konzentriert sich vornehmlich auf Nachrichten aus dem IT-Bereich. Als subversives Machwerk ist das Magazin bis jetzt noch nicht in Erscheinung getreten.
Dennoch hatte Golem eine ebenso einfache wie radikale Idee: Sie fragte die Bundesregierung, ob ihr ein Fall von strafbaren Fake News bekannt sei. Der Hintergrund ist das schon erwähnte „Netzwerkdurchsetzungsgesetz“ von Bundesjustizminister Heike Maas (SPD). Die Antwort der Bundesregierung wird kaum jemanden überraschen – sie lautete „Nein“. Man hätte also auch genauso gut ein Gesetz gegen den Weihnachtsmann verabschieden können. Auch den gibt es bekanntlich nicht, aber man muss den Glauben aufrechterhalten. Den Kindern zuliebe.
Laut Golem antwortete eine Sprecherin von Justizminister Maas (SPD) zunächst:
Dass über die Erfahrungen amerikanischer Politiker im US-Wahlkampf hinaus auch in Deutschland die Bekämpfung strafbarer Falschnachrichten an Bedeutung gewonnen hat, lässt sich schon anhand der allgemeinen Presseberichterstattung der vergangenen Monate nachvollziehen.
Doch die Krux an der Sache ist: Eine falsche Nachricht ist zwar bedauerlich und sicher auch verurteilenswert, aber deswegen noch längst nicht strafbar. So wurde zum Beispiel im US-amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf eine angebliche Wahlempfehlung von Papst Franziskus für Donald Trump vor allem in sozialen Netzen stark verbreitet. Doch strafrechtlich lässt sich da nichts machen.
Virtuelle Ambulanzenjäger gesucht
Folgerichtig stellt Golem fest, dass es aber ohne Anklagen oder Urteile auch keinen Maßstab dafür gibt, was „offensichtlich rechtswidrige Inhalte“ sind, wie es im Gesetzentwurf formuliert ist. Ein weiterer Sprecher von Maas, Philip Scholz, teilte auf Nachfrage von Golem zudem auch mit, dass im Justizministerium einzelne Äußerungen in sozialen Netzwerken juristisch nicht bewertet werden. Und man deswegen auch kein Beispiel eines strafrechtlichen relevanten Beitrags nennen könne.
Doch wie soll dann zum Beispiel Facebook eine strafrechtlich relevante Bewertung vornehmen? Dazu noch innerhalb von 24 Stunden – und unter Androhung von bis zu 50 Millionen Euro Strafe. Im Zweifel, so schreibt nicht nur Golem, werden Beiträge, bezüglich derer man kein Risiko eingehen will, einfach gelöscht. Das Konstrukt öffnet zudem auch Anwälten Tür und Tor, die zuvor mit ihren Klagen vor Gericht keinen Erfolg gehabt hatten. Sollte sich demnächst ein Anwalt direkt an Facebook wenden, gibt es keine Garantie, dass der Social-Media-Riese dem daraus entstehenden Druck nicht nachgibt. Die Folge ist Zensur.
Das Gesetz nimmt sich demnach nicht nur eines Sachverhalts an, den es eigentlich nicht gibt. Es schränkt vor allem auch ein unverzichtbares Gut ein, das es zu schützen vorgibt: die Meinungsfreiheit. Damit erinnert es an eine seltsame Mischung aus Don Quijotes Kampf gegen Windmühlen und der Umkehrung des faustischen Rätselworts über die Kraft, die stets das Böse will und stets das Gute schafft.