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Mai 08

Werbekampagne: 100 Millionen Euro für „Demokratie-Projekte“

Foto: dpa

„Verschwendung öffentlicher Gelder“ werfen Experten Manuela Schwesig vor. 100 Millionen Euro gibt die Familienministerin für Demokratie-Projekte aus. Ob die Maßnahmen wirksam sind, wird nicht überprüft.

Wenn Berlin-Mitte besonders heftig mit Plakaten zugekleistert wird, sprechen Agentur-Profis von „Regierungsviertel-Plakatierung“. Jetzt ist es wieder so weit. Überall springen einem im Regierungsviertel Plakate der Werbeagentur Scholz & Friends in die Augen. Sie tragen Slogans wie „Dieses Plakat wird nichts ändern. Aber Du kannst es.“

Sie sollen auf das Programm „Demokratie leben“ des Familienministeriums aufmerksam machen. Das Programm finanziert, mit einer Summe von 104,5 Millionen Euro jährlich, Projekte und Initiativen, „die sich der Förderung von Demokratie und Vielfalt widmen und gegen Rechtsextremismus, Rassismus, Antisemitismus, gewaltbereiten Islamismus und andere Formen von Demokratie- und Menschenfeindlichkeit, gegen Hass und Gewalt arbeiten“, teilt das Ministerium mit. Die aktuelle Werbekampagne für das Programm kostet 4,9 Millionen Euro. Sie solle „zu demokratischer Teilhabe anregen“ und rufe zu demokratischem Engagement auf.

Fühlt sich jemand durch die Plakate motiviert, sein demokratisches Engagement zu intensivieren, kann er oder sie die Internetseite von „Demokratie leben“ besuchen. Dort wird er darüber informiert, dass Demokratie ein „Teamsport“ sei. Im „Engagement-Check“ kann er überprüfen, ob er ein „Alleindenker“ oder ein „Teamplayer“ ist. Die „Hinweise und Checklisten für Deinen Beitrag zur Demokratie“ führen ihn dann zu unterschiedlichen möglichen Aktivitäten. So wird etwa empfohlen, „mit Harke und Laubbeutel loszuziehen, weil Grünflächenpflege für Kommunen eine Herausforderung ist“.

Fördern ohne Sinn und Verstand

Erklärt wird auch, wie eigentlich „Engagement im Betriebsrat“, „Blutspenden“ oder „Parteimitglied werden“ geht. Neben diesen zivilgesellschaftlichen Aktivitäten wenden sich viele Initiativen gegen „rechts“. Klickt man sich zu der Seite von „No hate speech“ durch, erfährt man, wie man Rechtsextremisten begegnen soll, nämlich mit „counter speech“: „Counter speech kann jeder, der mal Teenager war. Wer den Eltern schon mal seine ehrliche Meinung gesagt hat, ist bestens gerüstet für aktive Antidiskriminierung.“

Vom pädagogisierenden Duzton vieler Projekte abgesehen, gibt es eine Reihe von Einwänden gegen die Praxis des Ministeriums. „Im Haus werden ohne Sinn und Verstand Graswurzelprojekte gefördert“, sagt eine ehemalige Mitarbeiterin. „Die Leitungsebene hat keinerlei Interesse an Qualitätskontrolle oder der Überprüfung der Wirksamkeit der unterschiedlichen Maßnahmen.“ Weil die Projektmittel stetig erhöht wurden, werde „mittlerweile alles gefördert, was nicht bei drei auf den Bäumen ist“. In der Abteilung „Engagementpolitik“ herrsche „eine unglaubliche Naivität“ gegenüber jeder Initiative, die behauptet, gegen rechts zu sein.

Die frühere Familienministerin Kristina Schröder (CDU) will jede Kritik an ihrer Nachfolgerin Manuela Schwesig (SPD) vermeiden. „Ich bin mir allerdings bei manchen Themen nicht sicher, ob es wirklich am Besten ist, wenn das Laien erledigen“, sagt sie. „Zum Beispiel in der Opferberatung oder auch bei der Extremismusbekämpfung sind Profis vermutlich effektiver. ‚Wir setzen uns zusammen und grillen gegen rechts‘ wird Menschen mit problematischen Einstellungen kaum überzeugen.“

Wozu um Himmels Willen fordern die Plakate auf?

Die einseitige Ausrichtung „gegen rechts“ hält auch der Dresdener Politikwissenschaftler Werner Patzelt für problematisch: „Man will etwas für die freiheitliche Gesellschaft tun, aber die Leute, die man dringend erreichen müsste, verdrießt man eher. Mit denen muss man in den kommunikativen Nahkampf gehen, nicht sie mit plakativen Trennstrichen ausgrenzen“, sagt Patzelt. Der Passauer Politikwissenschaftler und langjährige Leiter der Akademie Tutzing, Heinrich Oberreuter, betrachtet das Programm als deutlichen Eingriff in den zertifizierten und transparenten Bereich der politischen Bildung: „Hier werden einfach so hundert Millionen Euro ziemlich ungeschützt ausgegeben“, sagt er. „Und selbst die fünf Millionen Euro für die Plakatkampagne sind mehr, als eine professionell arbeitende Akademie wie Tutzing im Jahr bekommt.“

Das ist umso bedauerlicher, als es Zweifel an der Wirksamkeit von Aufforderungsplakaten gibt. „Um Menschen zu demokratischem Engagement zu bewegen, ist anderes nötig als Plakate“, sagt die Politikwissenschaftlerin Suzanne Schüttemeyer von der Universität Halle-Wittenberg. Auch Manfred Güllner von Forsa hält die Kampagen für „kompletten Unsinn“ und „Verschwendung öffentlicher Gelder“. Kritik kommt auch aus der PR-Branche selbst: „Nichts liegt mir normalerweise ferner, als Mitbewerber zu kommentieren“, sagt der Berliner Kommunikationsexperte Rupert Ahrens von der Agentur A&B one: „Aber hier bleibt völlig unklar, wozu um Himmels Willen diese Plakate eigentlich auffordern.“

Quelle: Welt

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