Ein schrumpfendes Deutschland kann die Fluchtursachen eines wachsenden Kontinents nicht bekämpfen. Es ist eine Illusion zu glauben, man könne durch Nachhilfe die Massenflucht nach Europa stoppen.
Ein Gedankenspiel: 400 Millionen Afrikaner aus dem Subsahara-Raum könnten Schutz und Versorgung in Europa suchen, weil sie ihr Leben daheim für unerträglich und ausweglos halten. Kein Wunder, denn von einer Milliarde Menschen (1950: 180 Millionen) sind 600 Millionen ohne Stromanschluss und die Zahl der absolut Armen (höchstens 1,90 Dollar/Tag) wuchs zwischen 1990 und 2011 von 280 auf 390 Millionen.
Im Jahr 2050 (mit 2,2 Milliarden Einwohnern) stünden – bei unverändertem Fluchtwunsch – 800 Millionen theoretisch „bereit“ für die Flucht in die EU. Dort müssten rund 450 Millionen Einheimische für sie aufkommen. Selbst wenn alle unterkämen, stiege Afrikas Bevölkerung immer noch um 400 Millionen.
Während in Afrika das Durchschnittsalter bis 2050 auf nur 25 Jahre (heute 20) steigt, ächzen dann Brüssels Schutzbefohlene unter 50 Jahren. Da auch die Politik ihre Überforderung allmählich spürt, will Angela Merkel die „Geschicke Afrikas“ wenden und es in einen „Zukunftskontinent“ verwandeln. Was steht ihr da bevor?
Berlin will das Problem mit Spezialisten lösen
2015 gab es vom gesamten Kontinent einen Warenexport in Höhe von 150 Milliarden Dollar – in erster Linie Erdöl, Diamanten, Gold, Kupfer und Eisen. Allein 85 Milliarden Dollar davon entfielen auf das noch europäisch geprägte Südafrika. Die verbleibenden restlichen Staaten (940 Millionen Einwohner insgesamt) schaffen Ausfuhren von knapp 70 Milliarden Dollar, weniger als etwa die 5,4 Millionen Slowaken (74 Milliarden Dollar) schaffen.
Um diesen Rückstand abzubauen, will Berlin Spezialisten schicken. Wen aber hat man in den kommenden Jahrzehnten zur Verfügung? Europa bis zum Ural barg 2015 rund 140 Millionen Menschen unter 18 Jahren. Sie sind die Zukunft. Für 2050 werden nur noch 130 Millionen erwartet. Gesamt-Afrika (jetzt mit dem prekären arabischen Norden) hat heute 540 und 2050 rund 1000 Millionen Einwohner im selben Alter.
Die hiesigen Jugendlichen reichen nicht einmal aus, um die hiesigen Alten zu versorgen. Wie soll dann jedes dieser seltenen Geschöpfe nebenher noch vier oder (2050) acht Afrikaner für Hightech fit machen, ohne die der Schwarze Kontinent keine Zukunft gewinnt?
Zuviele Kinder bleiben unter ihren Potenzialen
In Afrika stehen alle Lehrenden vor gigantischen Herausforderungen. Schon 2007 ermittelten „Lancet“-Autoren, dass 40 bis 60 Prozent der Kinder aufgrund schlechter Ernährung und geringer Zuwendung auf immer unter ihren Potenzialen bleiben werden.
250 Millionen heute und 500 Millionen Kinder und Jugendliche um 2050 benötigen dann – womöglich dauerhaft – pädagogische und therapeutische Hilfen für sich und ihren eigenen Nachwuchs.
Doch Ex-Kolonien können aufholen. So hatten 1957 Süd-Korea – kriegsverwüstet, aber frei – und das von England emanzipierte Ghana dasselbe Pro-Kopf-Einkommen. Aus diesem 1:1 wurde 1987 ein 10:1 und bis 2015 sogar ein 20:1 für die Ostasiaten. Ihren ehemaligen Leidensgenossen empfehlen sie, bei den Hausaufgaben nicht nachzulassen.
Kennt Berlin ein paar Mathe-Kniffe?
Bei der Schülermathematikolympiade TIMSS (2011) siegten die Koreaner mit 613 Punkten, während Ghana 331 schaffte. Kennt Berlin Kniffe für weitere Verbesserungen? In neun von 16 Bundesländern verschlechterte sich zwischen 2009 und 2015 die deutsche Lesekompetenz.
Kann anderen helfen, wer daheim abrutscht? Viel wahrscheinlicher wirkt da die kaum vorstellbare Zahl von 400 und bald 800 Millionen jungen Afrikanern, die zur Migration bereit sind.
Der Autor ist Wirtschaftswissenschaftler und emeritierter Professor für Sozialpädagogik